Nach der Geburt
Das Kapitel „nach der Geburt“ umfasst die Zeit nach dem Abgang der Nachgeburt bis zum Ende der Säugephase und beinhaltet alle Managementmaßnahmen bei Sau und Ferkel.
Die Ferkel entwickeln in den ersten Lebenstagen eine stark lokal ausgeprägte Saugordnung und ordnen sich bei den Saugakten in einer charakteristischen Zitzenordung an.74 Sauen starten und begleiten den Saugakt mit einer stereotypen Folge von Grunzlauten (Video 9).75, 76
7.1 Ferkelversorgung
Ferkel werden mit nur geringen Energiereserven geboren. Außerdem haben sie kein braunes Fettgewebe, welches für die Wärmeproduktion bei Neugeborenen wichtig ist. Versuchen sie durch Muskelzittern etwas Wärme zu produzieren, verbrauchen sie dabei wertvolle Energiereserven. Da die Ferkel bis zum etwa 10. Lebenstag nur begrenzt in der Lage sind, selbst neue Energie zu produzieren und ihre Körpertemperatur zu regulieren, sind die Aufnahme von Energie mit dem Kolostrum und der Milch sowie ein warmes Ferkelnest lebenswichtig. Um unnötigem Auskühlen/Energieverlust vorzubeugen, können die Ferkel nach der Geburt abgetrocknet (z. B. mit Zellstoff oder entstaubten, hygienisierten Sägespänen) und ins warme Nest gesetzt werden, damit sie es als Rückzugsmöglichkeit kennen lernen. Bei manchen Ferkeln kann es auch notwendig sein, sie mehrfach ins Nest zurückzusetzen, bis sie es verstanden haben.
Eine weitere Besonderheit beim Ferkel ist, dass es mit einem Eisenvorrat geboren wird, der lediglich etwa drei Tage reicht. Manche Ferkel kommen jedoch bereits mit einem Eisenmangel zur Welt. In der Sauenmilch ist der Eisengehalt nicht so hoch, dass sie den Bedarf ausgleichen kann. Damit Ferkel keine Eisenmangelanämie bekommen, ist also eine Eisengabe bis zum dritten Lebenstag unerlässlich. Entscheidend ist, dass die Ferkel vor der Eisengabe ausreichend Milch aufgenommen haben, weil die Eisengabe ansonsten sogar tödlich wirken kann. Praxisuntersuchungen zeigten, dass die Gabe von 200 mg Eisendextran intramuskulär oder subkutan eher der Arbeitswirtschaft geschuldet ist und daher zunächst als massive Überversorgung zu werten ist. Gesplittete Eisengaben (100 mg am 3. LT und 100 mg am 10. LT) wirkten schonender.77
Empfohlen wird, die erste Behandlung (z. B. Eisengabe) frühestens 24 Stunden nach der Geburt durchzuführen, um die Ferkel nicht direkt mit Eisen als Oxidationsmittel zu belasten. Um das Verletzungsrisiko für alle (Ferkel, Sau und Tierbetreuer) so gering wie möglich zu halten, sollte die Sau für die Behandlungen der Ferkel (und auch die der Sau) fixiert werden. Praktisch ist es, wenn beim Füttern der Sauen der Ferkelschutzkorb geschlossen wird. Alternativ kann, wenn möglich, auch das Abteil unauffällig betreten und das Ferkelnest geschlossen werden. Auch wenn nicht alle Ferkel im Nest sind, klappt das Fangen meist schneller.
Hin und wieder treten auch sogenannte Spreizerferkel auf. Sind nur die Hintergliedmaßen gespreizt, hilft häufig das Binden/Tapen der Hinterbeine für einige Tage, damit auch diese Ferkel mobil genug sind, um an das Gesäuge zu kommen. Tritt das Spreizen vorne und hinten auf, ist die Prognose für das Ferkel schlecht. Trotz aller Fürsorge gibt es immer wieder Tiere, die euthanasiert werden müssen. Auch offensichtlich lebensschwache Ferkel (z. B. ohne Saugreflex oder mit Missbildungen) müssen frühzeitig notgetötet werden. Hier darf auf keinen Fall gewartet werden, bis sie von selbst verenden!
Für die korrekte Nottötung von lebensschwachen Saugferkeln stehen drei Verfahren zur Verfügung:
- Betäubung mittels Kopfschlag und Tötung durch Entblutung
- Betäubung mittels penetrierendem Bolzenschuss ("Ferkelblitz") mit Tötung durch Entblutung oder Zerstörung des Gehirn- und Rückenmarks
- Betäubung und Tötung durch CO2 in einer dafür zugelassenen CO2-Box
Weitere Informationen zum Thema finden Sie in dem Leitfaden „SchweineWohl im Fokus - Umgang mit kranken und verletzten Tieren“ des Netzwerks Fokus Tierwohl. Der Online-Leitfaden ist nach einer kostenlosen Registrierung abrufbar.
Erfahrungen aus der Praxis
- "Während der Fütterungszeit in den ersten zwei Lebenstagen die Ferkel in das Ferkelnest einsperren. So lernen sie die 'warme Zone' besser kennen."
7.2 Kolostrumaufnahme
Der Magen-Darm-Trakt des Ferkels kann nur für eine zeitliche begrenzte Dauer (ca. 24 Stunden) Antikörper aus der Milch aufnehmen. Diese sind für ein stabiles Immunsystem notwendig. Auch für die Energieversorgung und das Wachstum ist die Biestmilch extrem wichtig. Daher ist die frühzeitige Kolostrumaufnahme aller Ferkel sicherzustellen. Empfohlen werden mind. 250 g pro Ferkel. Jedes Ferkel sollte Biestmilch von seiner eigenen Mutter aufgenommen haben. Bei großen Würfen hilft kurzzeitiges Einsperren der ersten geborenen Ferkel nach deren Kolostrumaufnahme im Ferkelnest, damit die später geborenen mit geringerer Konkurrenz ihre Portion aufnehmen können (= split suckling).
Hat ein Ferkel zwar einen Saugreflex, schafft es aber nicht, Kolostrum aufzunehmen, weil es zu schwach oder unkoordiniert ist, um sich am Gesäuge halten zu können, sollte man es am Gesäuge ansetzen. Notfalls kann Kolostrum abgemolken und dem Ferkel oral verabreicht werden (z. B. mit einer Einmalspritze ohne Nadel). Ein Wurfausgleich sollte im besten Fall einmal und frühestens 12 Stunden nach der Geburt des letzten Ferkels durchgeführt werden. Dabei sollten möglichst viele Ferkel an der Mutter bleiben. Allerdings sollten maximal so viele Ferkel an der Sau bleiben wie funktionsfähige Zitzen vorhanden sind. „Überzählige“ Ferkel brauchen eine Ammensau oder eine künstliche Amme. Auch der Einsatz von „Ferkeltassen“ zur Milchbeifütterung kann das Gesäuge entlasten.
7.3 Kontrolle der Ferkelnesttemperaturen
Am Tag der Geburt sowie einen Tag danach sollte die Ferkelnesttemperatur kontrolliert werden. Dies geht z. B. mit einem Infrarotthermometer, welches man auf die Bodenplatte richtet. Je älter die Ferkel werden, desto geringer wird ihr Wärmebedarf und es ist für das Liegeverhalten der Ferkel gut („erdrückungssicher“), die Temperaturen abzusenken. In einer Untersuchung von Meyer et al.78 wurde folgendes über das Temperaturregime ermittelt:
Mehr als 80 % der Ferkel werden auf der Heizplatte angetroffen, wenn diese in der ersten Woche 39,2 °C, in der zweiten Woche 37,2 °C und in der dritten Woche 36,5 °C beträgt (Abb. 20). Für ältere Ferkel spielt die Raumtemperatur eine größere Rolle.
Zeigen die Ferkel im späteren Verlauf der Säugephase auffälliges Liegeverhalten (z. B. Haufenlage oder die Ferkel liegen nicht im Nest) muss die Ferkelnesttemperatur entsprechend angepasst werden (Abb. 21).
7.4 Kontrollpunkte bei der Sau
Auch bei den Sauen gibt es in den ersten Tagen nach der Geburt einiges zu beachten. Wenn Sauen z. B. zum Fressen ca. zwei Stunden nach der Geburt nicht aufstehen, sollten sie aufgetrieben werden. Das Wegsperren der Ferkel vor der ersten Fütterung hilft, damit die Sau ungestört fressen kann.
Die tägliche Gesundheitskontrolle der Sauen bis einschließlich zum dritten Tag nach der Geburt sollte die folgenden Punkte beinhalten:
- Kontrolle der Futter- und Wasseraufnahme am Trog → zusätzlich Wasser einfüllen
- Kotkonsistenz prüfen: der Kot sollte weich sein → harter Kot ist ein Signal für eine mangelnde Aktivität des Darms
- Gesäugekontrolle: Fest? Entzündet und warm? Wie ist die Kondition der Ferkel und gibt die Sau Milch? → Anzeichen für Milchmangel: z. B. Sau liegt auf dem Bauch, Ferkel sind ständig hungrig
- Messung der Körpertemperatur: ab 39,5 °C = Fieber
Wenn Sauen nicht fressen, Ausfluss oder erhöhte Temperatur/Fieber haben oder sonst klinisch auffällig sind, wird ggf. eine Behandlung oder eine tierärztliche Untersuchung notwendig.
7.5 Tägliche Arbeiten
Eine konsequente und gute Versorgung der Schweine im Abferkelstall ist selbstverständlich und unerlässlich. Hierbei hilft es, die tägliche Tierkontrolle systematisch durchzuführen. Im Abferkelstall sollten folgende Kontrollpunkte zur Routine gehören:
- Kontrolle der Raumtemperatur
- Zielbereich: max. 22 °C
- Kontrolle des Beschäftigungsmaterials für Sau und Ferkel
- Ist ausreichend Material vorhanden? → Achtung: ein Beschäftigungsplatz für 12 Tiere
- Verwendung von Jutesäcken aufgrund der Verschmutzungsneigung nicht uneingeschränkt zu empfehlen → Feuchtigkeit und Wärme sorgen für ein perfektes Keimmilieu, daher feuchte/verschmutzte Jutesäcke wechseln
- Kontrolle der Sauberkeit von Trog und Tränke (auch von den Ferkeln)
- Kontrolle der Futteraufnahme
- Kontrolle der Wasseraufnahme
- mind. 1 x täglich Kot entfernen (vom Einstallen in den Abferkelstall bis nach dem Öffnen des Ferkelschutzkorbs; danach bei Bedarf) (Video 10)
- Tierkontrolle von Sau und Ferkeln (Video 11)
Wenn mehrere oder neue Personen im Abferkelstall arbeiten, hilft es, die täglichen Kontrollpunkte im Abferkelstall als Checkliste im Betrieb zu haben.
7.6 Öffnen des Ferkelschutzkorbs
Auch der Zeitpunkt des Öffnens des Ferkelschutzkorbs kann von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich sein. Ferkelverluste durch Erdrücken kommen überwiegend innerhalb der ersten drei Lebenstage vor. Dementsprechend gibt es schon seit längerem Überlegungen, Sauen in diesem Zeitraum weiterhin in einem Kastenstand zu fixieren.47, 79, 80, 81, 82, 83, 84 Im Projekt Pro-SAU führte eine Fixierung der Sau für drei Tage nach der Geburt zu einer deutlichen Reduktion der Ferkelverluste. Eine darüberhinausgehende Fixierungsdauer (bis zum 6. Lebenstag) hatte basierend auf der vorhandenen Datenlage keine weitere Reduktion in Hinblick auf die Mortalitätsrate zur Folge.84 Nach große Beilage11 ist die individuelle Öffnung des Kastenstandes besser, da durch die gleichzeitige Öffnung der Ferkelschutzkörbe bei allen Sauen in einem Abteil starke Unruhe herrscht. Der Kastenstand sollte besser am Nachmittag als am Vormittag geöffnet werden.85 Am Nachmittag herrscht mehr Ruhe im Stall, da die Sauen meist sattgefüttert sind und nicht mehr so häufig aufstehen.