Zum Hauptinhalt springen

Verhalten der Sau

3.1 Nestbauverhalten

Das Nestbauverhalten an sich und die Bedeutung für den Geburtsverlauf ist einem Teil der Sauenhalter kaum bekannt und wird auch selten thematisiert. Allerdings hat das Verhalten einen wesentlichen Einfluss auf die sich anschließende Geburt. Die grundsätzlichen Abläufe sind bei Wild- und Hausschwein gleich.

Weitere Informationen zum Nestbauverhalten:

Gesamtbetriebliches Haltungskonzept Schwein – Sauen und Ferkel, Kapitel 2

Video: Nestbauverhalten von Wildschweinen

Ein gutes Ferkelnest dient in der freien Wildbahn dem Schutz vor Fressfeinden, hält die Ferkel beisammen, erlaubt eine gute Thermoregulation für die Ferkel und hilft Erdrückungsverluste zu verringern.

Ein wesentliches Element und der Beginn des Nestbaus ist das Wühlen und Scharren. Anschließend wird das Material gesammelt und zum Nest getragen. Dort wird es zurechtgemacht, bevor sich die Sau zur Ruhe legt.38 Das Gehen, Drehen und Stehen sind also wichtige Elemente beim Nestbau. Diese Schritte des Nestbaus sind bei einer Fixierung nicht möglich.

In freien Abferkelsystemen beginnen Sauen erst 12 bis 10 Stunden vor dem Einsetzen der Geburt, Nestbauverhalten zu zeigen. Sie erreichen den Höhepunkt der Nestbauphase etwa 7,5 Stunden vor der Geburt und beenden diese im Schnitt 3 Stunden vor Beginn der Geburt.6

Nestbau ist ein genetisch verankertes Verhalten, welches auch in einer Abferkelbucht durchgeführt wird. Die Voraussetzungen dafür sind: Bewegungsfreiheit, vorhandenes Nestbaumaterial und eine Strukturierung der Bucht.6 Im Gegensatz zum konventionellen Kastenstand ist die unfixierte Sau in einer Bewegungsbucht in der Lage, den Liege- bzw. Geburtsbereich sauber zu halten. Um eine wirkliche Bewegung statt nur einem sich mehr oder weniger guten Umdrehen zu ermöglichen, ist die Freilauffläche für die Sau entscheidender als die Grundfläche der Bucht. Platzmangel führt zu Frustration und Unruhe bei den Sauen, selbst wenn reichlich Stroheinstreu angeboten wird.39, 40, 11

Eine Fixierung der Sau vor der Geburt führt also dazu, dass das Nestbauverhalten nicht vollständig durchgeführt werden kann. Allerdings versucht die Sau, selbst bei eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten, ihr Nestbauverhalten auszuführen.

Die Einschränkungen durch den Ferkelschutzkorb führen jedoch zu einer deutlichen Reduzierung des Nestbauverhaltens, dafür wird es aber länger durchgeführt. Wird noch während der Geburt Nestbauverhalten gezeigt, führt dies zu einem erhöhten Risiko für Erdrückungen, verlängerter Geburtsdauer und dem Anstieg von Totgeburten.

Es wird davon ausgegangen, dass das Nestbauverhalten sowohl durch innere als auch durch äußere Reize beeinflusst wird und für das mütterliche Verhalten nach der Geburt wichtig ist.41 Es wurde allgemein festgestellt, dass eine hohe Aktivität während des Nestbaus mit einem geringeren Risiko von Erdrücken verbunden ist.42, 43, 44

Hansen et al.45 sahen bei einer Fixierung erst kurz vor der Geburt bei ausreichend passendem Nestbaumaterial keinen negativen Effekt auf die Geburtsdauer. In der Praxis wird der Ferkelschutzkorb schon oft drei bis einen Tag vor der Geburt geschlossen, sodass die Möglichkeit des Nestbauverhaltens deutlich eingeschränkt ist. Dies widerspricht dem zentralen Anliegen der Haltung von Sauen ohne Kastenstände: der weitgehend uneingeschränkten Ausübung des Nestbauverhaltens.11

Das Problem beim Schließen der Kastenstände direkt vor der Geburt besteht darin, dass die Sauen das Eingesperrtsein nicht gewohnt sind. Hierdurch steigt das Stresslevel. Die Folge ist, dass Geburten stocken, Sauen versuchen sich zu befreien, unruhig sind und positive Effekte des Nestbaus teilweise zunichtegemacht werden.46

Hier besteht ein Zielkonflikt zwischen dem Ausleben der natürlichen Verhaltensweisen der Sau und dem Schutz der Ferkel vor dem Erdrücken.

Die natürliche Nestbauaktivität mit geeignetem Nestbaumaterial wirkt sich positiv auf den Geburtsverlauf und die Säugezeit aus:

  • kürzere Abstände zwischen den Geburten der Ferkel
  • kurze Geburtsdauer
  • weniger Totgeborene
  • weniger Geburtshilfe
  • weniger Probleme mit MMA (Mastitis-Metritis-Agalaktie-Syndrom)
  • bessere Mütterlichkeit und besseres Säugeverhalten
  • weniger Ferkelverluste (auch durch Erdrücken)

Erfahrungen aus der Praxis

  • "Die Bucht lieber etwas größer gestalten als zu klein."

3.2 Abliegen und Positionswechsel der Sau

Gefährliche Situationen für Saugferkel können immer dann entstehen, wenn die Sau aktiv ist, d. h., wenn sie aufsteht, umhergeht, sich ablegt oder im Liegen einen schnellen Positionswechsel von 90 bis 180 Grad vornimmt.6

3.2.1 Abliegen

Das „korrekte“ Abliegen der Sau ist entscheidend, damit es hierbei nicht zu Erdrückungsverlusten kommt. Das Hinlegen der Sau wird in zwei Phasen aufgeteilt – das Vorabliege- und das Abliegeverhalten. Das Vorabliegeverhalten („pre-lying“-Verhalten) dient der Ankündigung bei den Ferkeln, dass sich die Sau hinlegen möchte. Sie beginnt mit Schnüffeln auf dem Boden und falls Stroh vorhanden ist, wird dort gewühlt. Die Sau scharrt mit einem Vorderbein und dreht sich in der Bucht umher, wenn es möglich ist. Zum ungehinderten Umdrehen benötigen Sauen ausreichend Platz.6

Der Kopf wird bewegt, um nach den Ferkeln zu schauen und sie mit der Schnauze anzustupsen. Auch durch Grunzen werden die Ferkel angeregt, den kritischen Bereich um die Sau zu verlassen und sich auf einen Haufen zu versammeln. Die ganze Aktion dauert etwa eine Minute und wird vor allem in der ersten Lebenswoche durchgeführt.

Anschließend kommt das eigentliche Abliegen (Video 2). Ein kontrollierter Abliegevorgang beginnt mit dem Abwinkeln des ersten Vorderbeins in eine halbkniende Position. Dann folgt das Abwinkeln des zweiten Vorderbeins, sodass die Sau kniet. Nach einer Pause wird die Schulter und ein Teil des Kopfes abgelegt. Nach einer weiteren Pause dreht die Sau ihr Hinterteil zur Seite, knickt mit den Hinterbeinen ein und lässt sich dann seitlich fallen. Geht die Sau nicht zuerst in eine kniende Position, ist das Fallenlassen gefährlicher für die Ferkel.6, 47 Dies kommt vor allem bei Sauen mit schlechtem Fundament, schlechter Fitness und/oder Klauenproblemen vor. Das Abliegeverhalten hängt aber auch vom Fußboden, dem Kastenstand und den Erfahrungen der Sauen ab. In einer Untersuchung von Meyer und Jähnig48 wurde beobachtet, dass unkontrollierte und schnelle Abliegebewegungen von schweren oder unerfahrenen Sauen ein besonders hohes Risiko für Erdrückungsverluste bergen. Dabei konnte die Abliegegeschwindigkeit auch mit der Einstellung des Ferkelschutzkorbes in Verbindung gebracht werden, wobei enge bis mittlere Korbeinstellungen zu schnelleren Abliegevorgängen führten. Auf unterschiedlichen Kunststoffböden wurden gegenüber gut verarbeiteten Metallböden tendenziell mehr schnelle und weniger normale Abliegebewegungen beobachtet.

Während der Fixierung können die Sauen das Vorabliegeverhalten nicht ausführen. In Untersuchungen mit verschiedenen Kastenstandsystemen von Baumgartner et al.49 erwiesen sich im Gegensatz zu den Buchten mit freier Abferkelung hauptsächlich die Abliegevorgänge und weniger die Positionswechsel im Liegen als kritisch.

Erdrückungsverluste beim Abliegen der Sau in Freilaufbuchten stehen oft im Zusammenhang mit dem Abliegen der Sau ohne Unterstützung durch Abliegehilfen.50, 51 Marchant et al.50 schlussfolgern weiter in ihrer Untersuchung bei Freilaufbuchten, dass ein erhöhtes Erdrückungsriskio bei Abliegevorgängen in den ersten 24 Stunden nach der Geburt besteht, wenn es in der Mitte der Bucht stattfindet, kein Vorabliegeverhalten durchgeführt wird und die Ferkel beim Abliegen körpernah um die Sau herum verteilt sind.

3.2.2 Sitzen

Sauen sitzen als Übergangshaltung (Video 3) vom Stehen zum Liegen und umgekehrt. Längeres Sitzen kann – wie bei allen Schweinen – ein Zeichen für Unwohlsein oder Krankheit sein. Bei der säugenden Sau können Bewegungseinschränkungen durch die Fixierung in Verbindung mit Fundamentproblemen und einer meist harten – möglicherweise auch rutschigen – Liegefläche zu Problemen beim Hinlegen oder Aufstehen führen.6 Im Ferkelschutzkorb zeigten bei Bolhuis et al.52 Sauen häufiger das Verhalten „Sitzen“ gegenüber freien Tieren. Diese fixierten Sauen haben auch während des Abferkelns mehr Zeit im Sitzen verbracht.

3.2.3 Liegepositionswechsel/Rollen

Bei den Positionswechseln im Liegen, dem sogenannten „rolling“, können mehrere Arten unterschieden werden. Zum einen Positionswechsel, die 90 Grad betragen, also der Wechsel von der Bauch- in die Seitenlage und umgekehrt. Zum anderen Positionswechsel um 180 Grad, also das Drehen oder Rollen von einer Seitenlage in die andere. Anders als bei der Fixierung im Ferkelschutzkorb ist der Wechsel der Liegeposition in der freien Abferkelung risikoreicher für die Ferkel als das Ablegen. Dieser Unterschied zwischen beiden Haltungssystemen wird auf die durch den Kastenstand „abgebremste“ Rollbewegung zurückgeführt.51 Aber auch bei Sauen im Ferkelschutzkorb können Erdrückungsverluste durch „Rollen“ beobachtet werden.44

In den ersten 24 Stunden nach der Geburt ist die Gefahr des Erdrückens in Freilaufbuchten durch Rollen besonders hoch, weil sich zu dieser Zeit die Ferkel dicht bei der Sau aufhalten. Je mobiler und reaktionsschneller die Ferkel und je mehr sie sich zum Ruhen abseits der Sau aufhalten, desto geringer wird das Risiko bei einem Positionswechsel der Sau erdrückt zu werden. Hier unterstützt ein attraktives Ferkelnest.

Statt nur zu versuchen, die Bewegungsfreiheit der Sau einzuschränken, sollten Faktoren, die die Häufigkeit der Liegepositionswechsel beeinflussen oder diese Bewegungen für die Ferkel sicherer machen, in Betracht gezogen werden. Ein Vergleich zwischen einer Freilaufbucht, die im Liegebereich der Sau ein Gefälle von 10 % aufwies gegenüber einer Freilaufbucht mit geradem Boden im Liegebereich der Sau zeigte, dass die Rollbewegung von der Bauch- auf die Seitenlage bei dem Boden mit Gefälle reduziert und die Anzahl der erdrückten Ferkel verringert werden konnte. Allerdings zeigte sich im Versuch, dass die Sauen lieber auf geraden Böden liegen.53 Auch der Einsatz von (Schräg-)brettern als Abliegehilfe und als Schutz für die Ferkel (Abb. 4 - 6) kann Erdrückungsverluste reduzieren.54, 55

3.3 Verhalten gegenüber den Ferkeln

Echtes aggressives Verhalten der Sauen gegenüber den Ferkeln ist eher selten. Meist sieht man bei Jungsauen Beißen oder sogar Totrütteln der Ferkel. Dies wird als Anzeichen einer Überforderung mit der neuartigen Situation gedeutet. Die Mutter-Kind-Bindung beruht auf gegenseitiger Geruchserkennung. Hierfür ist ein Rüssel-zu-Rüssel Kontakt notwendig (Abb. 7). Bei geschlossenem Ferkelschutzkorb kommt dieser nur zustande, wenn die Ferkel in den Kopfbereich der Sau kommen. Auch für das vorsichtige Abliegen der Sau ist eine gute Bindung und Kommunikation zwischen Sau und Ferkel notwendig.

In den ersten 14 Lebenstagen werden die Ferkel durch Laute der Sau zum Säugen aufgerufen. Je älter die Ferkel werden, desto mehr „fordern“ sie dann selbstständig das Säugen bei der Sau ein. Im späteren Verlauf der Säugephase, etwa ab der dritten Lebenswoche, oder bei sehr großen Würfen kann auch beobachtet werden, dass die Sauen aufstehen, um sich dem Säugen zu entziehen. Auch das Säugen wird dann häufiger abgebrochen.