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Hahn oder Henne – Möglichkeiten zur Geschlechtsbestimmung im Ei

Stand: Mai 2024

  • Dr. Katja Kulke, Landwirtschaftskammer Niedersachsen
  • Hannah Kanwischer, Landwirtschaftskammer Niedersachsen
  • Dominik Jacobs, Landwirtschaftskammer Niedersachsen

Ausgangssituation

Das Töten von männlichen Eintagsküken der Legelinien wird seit Jahren im Agrarsektor und bei Verbrauchenden kontrovers diskutiert. Durch die Zucht auf Legeleistung setzen die männlichen Tiere dieser Linien kaum Fleisch an und gelten somit als „unerwünschte Nebenprodukte“. Als Konsequenz wurden bis zum Jahr 2022 in Deutschland jährlich rund 45 Millionen1 Küken kurz nach dem Schlüpfen getötet. Seit dem 01.01.2022 ist das Töten männlicher Eintagsküken in Deutschland jedoch verboten. Alternativen sind die Geschlechtsbestimmung im Ei, die Mast der männlichen Hühner, sogenannter „Bruder- oder Junghähne“, und die Zucht von Zweinutzungsrassen2. Auch wenn die Zweinutzungsrassen nicht die gleichen Leistungswerte wie Tiere aus klassischen Lege- und Mastlinien erreichen, eignen sich jedoch gleichzeitig die Hennen für die Eierproduktion und die Hähnchen für die Fleischproduktion.

Der Gesetzesentwurf zur Beendigung des Kükentötens1 sah zunächst vor, ab dem 01.01.2024 nur noch Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zuzulassen, die vor dem 7. Bruttag ansetzen. Grund hierfür war, dass es Unsicherheiten über das Einsetzen der Schmerzempfindlichkeit bei Küken gab. Eine vom „Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft“ (BMEL) geförderte Studie kam jedoch im Jahr 2023 zu dem Ergebnis, dass davon auszugehen ist, dass bis einschließlich des 12. Bruttags kein Schmerzempfinden vorhanden ist3. Daraufhin beschloss der Bundestag am 16. Juni 2023 die Änderung des Tierschutzgesetzes zum Verbot des Kükentötens, wonach nun bis inklusive des 12. Bruttags eine Geschlechtsbestimmung im Ei durchgeführt und im Anschluss männliche Embryonen aussortiert werden dürfen.
Die Anpassung stößt auf große Zustimmung der Branche, da mit dem neuen Gesetz gängige Verfahren der Geschlechtsbestimmung weiterverwendet werden dürfen. Entsprechend gab der „Verein für kontrollierte alternative Haltungsformen e.V.“ (KAT) bekannt, dass ab dem 01.01.2024 vom KAT zertifizierte Eier nur noch vermarktet werden dürfen, wenn sie von einer Henne gelegt wurden, die aus einer Brüterei stammt in der alternative Verfahren zum Kükentöten angewendet wurden. Diese Eier werden auch als „ohne Kükentöten“ (OKT) gekennzeichnet4.

Vorstellung der Verfahren

Im Folgenden soll ein Überblick über die aktuell zulässigen Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei gegeben werden. Unabhängig vom Verfahren werden die folgenden Anforderungen an die Geschlechtsbestimmung im Ei gestellt2:

  • Erkennung des Geschlechts vor dem 13. Bruttag, um keine Schmerzen bei den Embryonen zu verursachen
  • Keine negativen Effekte auf die Schlupfrate
  • Hohe Zuverlässigkeit bei der Bestimmung des Geschlechts
  • Schnelle Bestimmung, für einen hohen Durchsatz in der Brüterei
  • Kostengünstig, für eine wirtschaftliche Umsetzung des Verfahrens
  • Möglichkeit zur Nutzung der aussortierten Eier zur Weiterverarbeitung  
  • Akzeptanz der Öffentlichkeit muss gewährleistet sein

Zum Einsatz kommen hierbei endokrinologische und molekularbiologische Verfahren, die Geschlechtsbestimmung mittels Spektroskopie, sowie ein KI-gestütztes MRT-Verfahren.

Endokrinologische Verfahren (z.B. SELEGGT)

Bei dieser Methode wird am 9. Tag mittels eines Lasers ein kleines Loch in die Schale der Eier gebrannt. Anschließend wird eine geringe Menge der Allantoisflüssigkeit, einer Ausstülpung des Dottersacks, entnommen und mit einem Marker vermengt. Das Innere des Eis wird dabei nicht beschädigt, wodurch das Verfahren keinen Einfluss auf die Schlupfrate hat5. Die Allantoisflüssigkeit besteht aus Oxidationswasser und Stoffwechselprodukten, die bei der Entwicklung des Embryos entstehen. Bei weiblichen Tieren wird das Geschlechtshormon Östronsulfat gebildet, das durch den zugesetzten Marker mittels Farbumschlag nachgewiesen werden kann6. Der Farbumschlag erleichtert die Sortierung der Eier. Eier mit weiblichen Embryonen werden anschließend weiter bebrütet, während Eier mit männlichen Embryonen z.B. für die Futtermittelproduktion weiter genutzt werden können5. Das Geschlecht wird mit einer Zuverlässigkeit von rund 98% bestimmt7, 8.

Geschlechtsbestimmung im Ei: Das endokrinologische Verfahren

Molekularbiologisches Verfahren (z.B. PLANTegg)

Im Vergleich zu Säugetieren haben sich die Geschlechtschromosomen der Vögel unterschiedlich entwickelt. Dadurch wird beim Geflügel die Ausprägung des Geschlechts über die Eizelle des Weibchens vererbt und nicht über das Sperma der männlichen Tiere. Eine Geschlechtsunterscheidung der Spermien, wie bei Rindern und Schweinen, ist dadurch nicht möglich8.
Bei der molekularbiologischen Variante wird in vergleichbarer Weise ebenfalls ein kleines Loch in die Eischale gebrannt und Allantoisflüssigkeit entnommen. Die geschlechtsspezifischen Chromosomen werden isoliert und mittels einer molekularbiologischen Nachweismethode, der PCR (Polymerase-Kettenreaktion), vervielfältigt und analysiert.Diese Methode kann ebenfalls ab dem 9. Tag angewandt werden und hat eine Genauigkeit von >99%9.

Spektroskopisches Verfahren (z.B. AAT) und Raman Spektroskopie

Zurzeit befinden sich zwei unterschiedliche spektroskopische Verfahren in der Entwicklung:

Hyperspektrale Messtechnik

Bei dieser Methode kann auf ein Öffnen des Eis verzichtet werden. Stattdessen wird das Ei, ähnlich wie mit einer Schierlampe, zwischen dem 11./12. Bruttag durchleuchtet und das austretende Lichtspektrum analysiert. Die Methode kann nur bei Braunlegern Anwendung finden, da hierbei die unterschiedliche Farbe des Gefieders bei weiblichen (braun) und männlichen (weiß) Hühnern ausgenutzt wird11. Die Genauigkeit liegt bei >95%10.

Raman Spektroskopie

Per Wärmebildkamera wird am 4. Bruttag die Luftkammer im Ei lokalisiert und per Laser ein ca. 15 mm großes Loch in die Eischale geschnitten, ohne hierbei die Eimembran zu beschädigen. Anschließend wird mittels eines speziellen Verfahrens, das als Raman Spektroskopie bezeichnet wird, ein Blutgefäß mit ausreichendem Durchmesser durchleuchtet. Die Streuung bestimmter Lichtstrahlen ist spezifisch für männliche und weibliche Tiere und kann somit Auskunft auf das Geschlecht des Embryos im Ei geben. Zum Abschluss wird die Öffnung in der Eischale mittels eines biokompatiblen Klebebandes wieder verschlossen. In Forschungsarbeiten wurde eine Zuverlässigkeit von 90-93% und eine Schlupfrate von 81-96% festgestellt. Für diese Technik konnte noch kein Termin zur Markteinführung benannt werden12,13.

Geschlechtsbestimmung im Ei: Das spektroskopische Verfahren

KI-gestütztes MRT-Verfahren (z.B. ORBEM)

Spektroskopisches Verfahren

Bei einem MRT (Magnetresonanztomographie) werden Bilder durch die Verwendung eines magnetischen Feldes in Verbindung mit Radiowellen erzeugt. Im Gegensatz zum Röntgen, oder der Computertomographie, werden hierbei keine Röntgenstrahlen eingesetzt. Im Anschluss werden diese Bilder in einen Algorithmus eingespeist, der die Eier in männlich/weiblich und befruchtet/unbefruchtet unterteilt. Dank einer künstlichen Intelligenz (KI) lernt das System kontinuierlich hinzu und kann so die Genauigkeit der Bestimmung erhöhen. Die Genauigkeit liegt bei >98% und das Verfahren kann ab dem 12. Tag angewendet werden14.

Methoden im Vergleich

SELEGGT war die erste Firma in Deutschland, deren Verfahren Marktreife erlangte. So konnten bereits im Jahre 2018 die ersten Eier von Legehennen, deren Geschlecht mittels der endokrinologischen-Methode bestimmt wurde, unter dem Label „Respeggt“ vermarktet werden5.  Ende 2020 zog PLANTegg9 nach. Das molekularbiologische Verfahren wird für die Selektion von Hennen eingesetzt, deren Eier über den Discounter ALDI vermarktet werden. Aldi verkauft seit 2022 nur noch Schaleneier von Brütereien bei denen eine Geschlechtsbestimmung im Ei vorgenommen wurde und somit auf das Töten männlicher Küken verzichtet werden kann15. Das spektroskopische Verfahren Cheggy der Firma AAT10, sowie das MRT- und KI-gestützte Verfahren der Firma ORBEM13 werden beide von der Brüterei Lohmann zur in-ovo Geschlechtsbestimmung verwendet16. In Deutschland finden somit aktuell das endokrinologische, die Hyperspektrale Messtechnik, sowie das MRT-gestützte Verfahren Anwendung7,10,14,15,17.

Internationale Forschung

Die israelische Firma eggXYt17 entwickelt eine gänzlich andere Methode, die noch vor dem eigentlichen Bebrüten des Eis ansetzt. Mit Hilfe von Crisper/Cas, einer sogenannten Genschere, wird auf der Elterntierebene bei den Hennen eine Veränderung auf dem Z-Chromosom vorgenommen (Abb. 6). Durch die molekularbiologische Anpassung im Muttertier-Genom enthält das Erbmaterial der männlichen Küken einen Marker, der mittels UV-Licht erkannt wird. Die Eier, aus denen männliche Küken geschlüpft wären, können somit bereits vor dem Einlegen in den Brutschrank aussortiert und anderweitig genutzt werden. Die übrigen Eier, aus denen weibliche Tiere hervorgehen, können wie gewöhnlich bebrütet werden können und weisen keine genetische Veränderung auf. Diese Methode verhindert somit nicht nur das Töten von männlichen Eintagsküken, sondern verspricht auch eine Verdoppelung der Kapazitäten in den Brütereien und eine Einsparung im Personal- und Energieaufwand17.

In Europa unterliegt das Crispr/Cas-Verfahren, und alle genetisch veränderten Organismen die dadurch entstehen, dem EU-Gentechnikrecht18. Dies bedeutet, dass gentechnisch veränderte Elterntiere, und die aus der Kreuzung mit diesen Tieren hervorgehenden männlichen Nachkommen bzw. Eier, nur mit einer Genehmigung in Verkehr gebracht werden dürften und als solche gekennzeichnet werden müssten.Das gleiche gilt jedoch auch für die weiblichen Nachkommen und deren Eier, welche keine Genveränderung aufweisen. Diese sind laut EU-Verordnung Nr. 1829/2003 Kapitel II, Artikel 4 „Lebensmittel, die aus einem GVO hergestellt sind“ und unterliegen somit auch der Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht19.

Ebenfalls vor der Bebrütung setzt die Methode einer weiteren israelischen Firma, SOOS21, an. Diese forscht an der Beeinflussung des Geschlechts von Hühnerembryonen vor der Festlegung der Geschlechtsmerkmale. Durch die Steuerung von Luftfeuchtigkeit/Temperatur und mit Hilfe von Schallwellen sollen sich einheitlich weibliche Embryonen entwickeln. Die Bruteier werden hierzu auf eine spezielle Eierpalette gelegt, auf der sich die Vibrationen der Schallwellen gleichmäßig zu jedem Ei bewegen. Mit Hilfe dieser Schallwellen wird die Expression von weiblichen Genen angeregt und genomisch männliche Embryonen entwickeln weibliche Geschlechtsmerkmale und damit verbunden die Fähigkeit Eier zu legen. Diese „Geschlechtsumkehr“ ist möglich, da bei Hühnern in der Embryonalentwicklung das Geschlecht erst nach dem 6. Entwicklungstag festgelegt wird22. Die Methode ist dabei nicht-invasiv und funktioniert ohne genetische Modifikationen oder hormonelle Interventionen.   

Verwendung der Bruteier mit männlichen Embryonen

Nach der erfolgten Geschlechtsbestimmung im Ei wird der Brutprozess der Eier mit männlichen Embryonen, unabhängig von der Bestimmungsmethode, unmittelbar nach der Aussortierung abgebrochen. Danach erfolgt die Zerkleinerung der Bruteier und die Stabilisierung des entstandenen „Male-Mix“. Dieser wird dann gekühlt gelagert und regelmäßig als KAT 323 Material, sprich tierisches Material mit geringem Risiko, abgegeben.

Fazit

In den letzten Jahren ist es gelungen, verschiedene Methoden zu etablieren, mit deren Hilfe das Geschlecht der Küken bereits mit einer hohen Genauigkeit im Ei bestimmt werden kann. Die Methoden setzen bereits vor dem 13. Bebrütungstag an, sodass ein Schmerzempfinden der Küken bei der Durchführung der Geschlechtsbestimmung ausgeschlossen werden kann. Die Vorgaben des Tierschutzgesetzes konnten somit erfolgreich umgesetzt werden. Demzufolge findet in deutschen Brütereien kein Kükentöten mehr statt. Dennoch erreicht keines der Verfahren derzeit eine Genauigkeit von 100%, sodass die Aufzucht von Junghähnen auch weiterhin erfolgen wird. 

Nähere Informationen zu Junghähnen im Fachartikel Bruderhahnaufzucht – Echte Perspektive oder Zwischenlösung?.

Zudem sehen die meisten Öko-Verbände in der Geschlechtsbestimmung im Ei keine geeignete Alternative, da das Töten der männlichen Küken hierbei nur auf einen früheren Zeitpunkt verschoben wird. Stattdessen setzen sie auf den vermehrten Einsatz von Zweinutzungsrassen, um der selektiven Zucht auf Mast- und Legerassen entgegenzuwirken. Auch die Aufzucht von Junghähnen ist verbreitet.

In wie weit weitere Methoden, wie z.B. die Methode der israelischen Firma SOOS, sich weiterentwickeln werden und ob diese Einzug auf den deutschen Markt halten werden, bleibt abzuwarten.

 

 

Literatur