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  • Dr. Katja Kulke, Landwirtschaftskammer Niedersachsen
  • Alina Kathrin Lückemann, Landwirtschaftskammer Niedersachsen

Aktuelle gesetzliche Anpassungen

(Juli 2023)

In den letzten Jahren wurde immer wieder über die Geschlechtsbestimmung im Ei als eine Alternative zum Kükentöten diskutiert. Allen voran stand die Diskussion über das Schmerzempfinden der Embryonen im Ei. Ein Gutachten des deutschen Bundestags aus dem Jahr 2017 (aktualisiert in 2020), kam zu dem Ergebnis, dass vor dem siebtem Bebrütungstag keine Empfindungsfähigkeit bei den Embryonen vorliegt. Weiterhin ging man davon aus, dass ab dem 15. Tag ein Schmerzempfinden ausgebildet ist. Lange war unklar, zu welchem Zeitpunkt zwischen dem 7. und 15. Bruttag die Empfindungsfähigkeit einsetzt. Daher wurde das Gesetzt erlassen, dass ab 2024 ein Verbot der Geschlechtsbestimmung im Ei ab dem siebten Bruttag vorsah.  

Eine neue Studie aus 2023, gefördert durch das BMEL, kommt jetzt jedoch zu dem Ergebnis, dass davon auszugehen ist, dass bis einschließlich dem 12. Bruttag kein Schmerzempfinden vorhanden ist.

zu den Studienergebnissen Projektzusammenfassung: Schmerzempfinden bei Hühnerembryonen

Daraufhin beschloss der Bundestag am 16. Juni 2023 die Änderung des Tierschutzgesetzes zum Verbot des Kükentötens. Demnach darf nun bis zum 13. Bruttag eine Geschlechtsbestimmung im Ei durchgeführt werden und im Anschluss männliche Embryonen aussortiert werden. Die Anpassung stößt auf große Zustimmung der Branche, da mit dem neuen Gesetzt gängige Verfahren der Geschlechtsbestimmung weiterverwendet werden dürfen.

Einen aktuellen Stand der Entwicklung von Verfahren und Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Hühner-Ei ist beim BMEL einsehbar: 

Bericht des BMEL gemäß § 21 Absatz 6a Tierschutzgesetz

Einleitung

Das Töten von männlichen Eintagsküken der Legerichtung wird seit Jahren im Agrarsektor und bei Verbrauchern kontrovers diskutiert. Durch die Zucht auf Legeleistung setzen die männlichen Tiere dieser Linien kaum Fleisch an und gelten somit als „unerwünschte Nebenprodukte“. Als Konsequenz werden jährlich ca. 42 Millionen männliche Küken kurz nach dem Schlüpfen in Deutschland getötet. Um dies zu verhindern wurde in den letzten Jahren verstärkt nach Alternativen gesucht und an unterschiedlichen Lösungsansätzen geforscht. Dies sind die Geschlechtsbestimmung im Ei, die Mast der männlichen Hühner, sogenannte „Bruderhähne“, und die Zucht von Zweinutzungshühnern.

Verbot des Kükentötens ab 1. Januar 2022

Im Januar 2021 hat das Bundeskabinett dem Gesetzesentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zugestimmt. Demnach soll ab dem 1. Januar 2022 das Töten männlicher Eintagsküken verboten werden. Des Weiteren soll ab dem Jahr 2024 die Geschlechtsbestimmung im Ei bereits vor dem 7. Bruttag stattfinden, um sicherzustellen, dass den Embryonen im Ei keine Schmerzen zugefügt werden. Bislang gibt es jedoch in der Wissenschaft keinen Konsens über den genauen Beginn des Schmerzempfindens bei Hühnerembryonen. Fest steht jedoch, dass im ersten Trimester, also bis zum 7. Bruttag, kein Schmerzempfinden vorliegt.

 

Technologische Ansätze zur Geschlechtsbestimmung im Ei

Aktuell werden in Deutschland derzeit drei Methoden erforscht, die eine Geschlechtsbestimmung im Ei ermöglichen. Zum Einsatz kommen hierbei endokrinologische, molekularbiologische Verfahren sowie die Geschlechtsbestimmung mittels Spektroskopie.

Anforderung an technologische Methoden

Alle Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei müssen umfangreiche Anforderungen erfüllen:

  • Frühe Erkennung des Geschlechts, um keine Schmerzen bei den Embryonen zu verursachen
  • Keine negativen Effekte auf die Embryonen, auf die Schlupfrate und die geschlüpften Küken
  • Hohe Zuverlässigkeit bei der Bestimmung des Geschlechts
  • Schnelle Methode für einen hohen Durchsatz in der Brüterei
  • Kostengünstig für eine wirtschaftliche Umsetzung des Verfahrens
  • Möglichkeit zur Nutzung der aussortierten Eier zur Weiterverarbeitung  
  • Gewährleistung der Akzeptanz der Öffentlichkeit

Aktuell wird in Deutschland an drei Methoden geforscht. Zum Einsatz kommen hierbei endokrinologische sowie molekularbiologische Verfahren, ebenso wie Verfahren mittels Spektroskopie.

Endokrinologische Verfahren

Geschlechtsbestimmung mittels Nachweis von Geschlechtshormonen

Beim endokrinologischen Verfahren wird über den Nachweis des Geschlechtshormons Östronsulfat das Geschlecht des Embryos bestimmt. Hierfür wird am 8 -10. Bruttag mittels eines Lasers ein 0,5 mm großes Loch in die Schale der Eier gebrannt. Anschließend wird eine geringe Menge Allantoisflüssigkeit entnommen und mit einem Marker vermischt. Die Allantoisflüssigkeit besteht aus Oxidationswasser und Stoffwechselprodukten, die bei der Entwicklung des Embryos entstehen. Bei weiblichen Tieren wird das Geschlechtshormon Östronsulfat gebildet, das durch den zugesetzten Marker mittels Farbumschlag nachgewiesen werden kann. Die optische Markierung erleichtert die Sortierung der Eier. Eier mit weiblichen Embryonen werden anschließend weiter bebrütet, während Eier mit männlichen Embryonen, z.B.. für die Futtermittelproduktion, weiter genutzt werden könnten. Das Geschlecht wurde laut Forschungsergebnissen mit einer Zuverlässigkeit von 83,5 % bestimmt. Die Schlupfrate von 80 - 87,8 % wird durch das gebohrte Loch nicht negativ beeinflusst.

Geschlechtsbestimmung im Ei: Das endokrinologische Verfahren

Molekularbiologisches Verfahren

Geschlechtsbestimmung durch molekularbiologischen Nachweis

Im Vergleich zu Säugetieren haben sich die Geschlechtschromosomen der Vögel unterschiedlich entwickelt. Dadurch wird bei Geflügel die Ausprägung des Geschlechts über die Eizelle der Henne vererbt und nicht über das Sperma der männlichen Tiere. Eine Geschlechtsunterscheidung der Spermien, wie sie bei Rindern und Schweinen beim Spermasexing genutzt wird, ist dadurch nicht möglich. 

Bei der molekularbiologischen Variante wird am 9. Bruttag in vergleichbarer Weise ebenfalls ein kleines Loch in die Eischale gebrannt und Allantoisflüssigkeit entnommen. Die geschlechtsspezifischen Chromosomen werden isoliert und mittels einer molekularbiologischen Nachweismethode, der PCR (Polymerase-Kettenreaktion), vervielfältigt und analysiert. Die Zuverlässigkeit dieser Methode liegt bei 99%. Ergebnisse zu der Schlupfrate liegen nicht vor.

Spektroskopisches Verfahren

Spektroskopisches Verfahren

Beim spektroskopischen Verfahren werden die Eier etwa 4 bzw. 13 Tage lang bebrütet und mit Hilfe von lasergestützten Messverfahren das Geschlecht des Embryos bestimmt.

Zurzeit befinden sich zwei unterschiedliche spektroskopische Verfahren in der Entwicklung:

Hyperspektrale Messtechnik

Bei dieser Methode kann auf ein Öffnen des Eis verzichtet werden. Stattdessen wird am 13. Bruttag das Ei, ähnlich wie mit einer Schierlampe, durchleuchtet und das austretende Lichtspektrum analysiert. Die Methode kann nur bei Braunlegern Anwendung finden, da hierbei die unterschiedliche Farbe des Gefieders bei weiblichen (braun) und männlichen (weiß) Hühnern ausgenutzt wird.

Raman Spektroskopie

Per Wärmebildkamera wird am 4. Bruttag die Luftkammer im Ei lokalisiert und per Laser ein ca. 15 mm großes Loch in die Eischale geschnitten, ohne hierbei die Eimembran zu beschädigen. Anschließend wird mittels eines speziellen Verfahrens, das als Raman Spektroskopie bezeichnet wird, ein Blutgefäß mit ausreichendem Durchmesser durchleuchtet. Die Streuung bestimmter Lichtstrahlen ist spezifisch für männliche und weibliche Tiere und kann somit Auskunft auf das Geschlecht des Embryos im Ei geben. Zum Abschluss wird die Öffnung in der Eischale mittels eines biokompatiblen Klebebandes wieder verschlossen. In Forschungsarbeiten wurde eine Zuverlässigkeit von 90 - 93% und eine Schlupfrate von 81 - 96% festgestellt.

Geschlechtsbestimmung im Ei: Das spektroskopische Verfahren

Internationale Forschung

Geschlechtsbestimmung mit Hilfe von Biomarkern

Die israelische Firma eggXYt entwickelt eine gänzlich andere Methode, die noch vor dem eigentlichen Bebrüten des Eis ansetzt. Mit Hilfe von CRISPR/Cas, einer sogenannten Genschere, wird auf der Elterntierebene bei den Hennen eine Veränderung auf dem Z-Chromosom vorgenommen (Abbildung). Durch die molekularbiologische Anpassung im Muttertier-Genom enthält das Erbmaterial der männlichen Küken einen Biomarker. Beim Durchleuchten der unbebrüteten Eier, ähnlich wie mit einer Schierlampe, mittels UV-Licht, leuchten die Eier, aus denen männliche Küken geschlüpft wären. Diese können somit bereits vor dem Einlegen in den Brutschrank aussortiert und anderweitig genutzt werden. Während die übrigen Eier, aus denen weibliche Tiere hervorgehen, wie gewöhnlich bebrütet werden können und keine genetische Veränderung vorweisen. Diese Methode verhindert somit nicht nur das Töten von männlichen Eintagsküken, sondern verspricht auch eine Verdoppelung der Kapazitäten in den Brütereien und eine Einsparung im Personal und im Energieaufwand.

In Europa unterliegt das CRISPR/Cas-Verfahren und alle genetisch veränderten Organismen die dadurch entstehen, dem EU-Gentechnikrecht. Dies bedeutet, dass gentechnisch veränderte Elterntiere und die aus der Kreuzung mit diesen Tieren hervorgehenden männlichen Nachkommen bzw. Eier, nur mit einer Genehmigung in Verkehr gebracht werden dürften und als solche gekennzeichnet werden müssten.Das gleiche gilt jedoch auch für die weiblichen Nachkommen und deren Eier, welche keine Genveränderung aufweisen. Diese sind laut EU-Verordnung Nr. 1829/2003 Kapitel II, Artikel 4 „Lebensmittel, die aus einem GVO hergestellt sind“ und unterliegen somit auch der Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht.

Methoden im Vergleich

Einsatzzeitpunkt enscheidend

Das endokrinologische Verfahren wird bereits in Brütereien eingesetzt. Die Eier von Legehennen, deren Geschlecht mittels dieser Methode bestimmt wurden, werden seit 2018 in deutschen Supermärkten verkauft. Ende 2020 sollen auch Eier, entstanden aus dem molekularbiologischem Verfahren, in Supermärkten vermarktet werden.

Beide Methoden haben jedoch den Nachteil, dass sie erst ab dem 8./9. Bruttag eingesetzt werden können. Nach dem neuen Gesetzesentwurf sind sie daher keine zukunftsfähigen Lösungen. Die hyperspektrale Messtechnik ist erst ab dem 13. Bruttag einsetzbar und kann daher ebenfalls nur als Übergangslösung angesehen werden. Somit ist die Raman Spektroskopie bislang die einzige Methode, welche die Anforderung, nach einem frühen Einsatzzeitpunkt im ersten Trimester (bis Tag 7), erfüllt. Zum derzeitigen Zeitpunkt konnte jedoch noch kein Termin für eine Markteinführung dieser Technik benannt werden.

Ausblick

Nach derzeitigem Wissensstand steht noch kein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung, das alle im Vorfeld benannten Anforderungen erfüllt. Die auf endokrinologischen und molekularbiologischen Methoden basierenden Verfahren, die derzeit bereits in Deutschland Anwendung finden, setzen erst im zweiten Trimester der Embryonalentwicklung an. Somit entsprächen sie bei Umsetzung des vom BMEL vorgelegten Gesetzesentwurfs ab 2024 nicht mehr den Vorgaben, nach denen die Geschlechtsbestimmung bis zum 7. Bruttag erfolgen muss.

Die Geflügelwirtschaft ist dem Ausstieg aus dem Kükentöten gegenüber offen, kritisiert jedoch den kurzen Übergangszeitraum, um neue Technologien zu etablieren und alternative Maßnahmen ergreifen zu können. Die meisten Öko-Verbände hingegen sehen in der Geschlechtsbestimmung im Ei keine geeignete Alternative, da das Töten der männlichen Küken nur auf einen früheren Zeitpunkt verschoben wird. Stattdessen setzen sie auf den vermehrten Einsatz von Zweinutzungshühnern, um der selektiven Zucht auf Mast- und Legerassen entgegenzuwirken. Trotzdem werden bei der ökologischen Ei-Produktion derzeit noch bis zu 95 % der Eier von Hennen gelegt, deren männliche Geschwister als Eintagsküken getötet wurden.

Bis 2024 praxistaugliche Methoden erforderlich

Falls bis 2024 keine praxistaugliche Methode etabliert werden sollte, kommen rund 42 Millionen männliche Küken auf den Markt, für die angepasste Haltungssysteme und Vermarktungsschienen bereitstehen müssen. Für die Aufzucht und Mast der männlichen Tiere würden neue Ställe benötigt werden, deren Bau jedoch oft langwierige Baugenehmigungsverfahren vorausgehen, die nicht selten in einer Ablehnung enden. Zusätzlich stellt die Vermarktung der männlichen Tiere am Ende der Mast eine Herausforderung dar. Durch das geringe Schlachtgewicht und eine abweichende Zusammensetzung des Schlachtkörpers zur Norm, nehmen große Schlachtereien und Zerlegungsbetriebe die Tiere bislang kaum an. Kleine Schlachtbetriebe sind aufgrund der hohen gesetzlichen Anforderungen in Deutschland kaum zu finden. Zudem kann eine erfolgreiche Vermarktung der Bruderhahn-Schlachtkörper, die einen geringeren Brust- und Schenkelanteil aufweisen, nur dann erfolgen, wenn Verbraucher auch dazu bereit sind, für die Produkte höhere Preise zu zahlen. Nur so kann zukünftig auf das Töten der männlichen Küken verzichtet werden.

Auch wenn die Geflügelwirtschaft den Ausstieg aus dem Töten männlicher Küken grundsätzlich unterstützt, wird von Seiten des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) derzeit eine längere Übergangsfrist zur Schaffung von praktikablen Lösungsansätzen gefordert. Der Verband verweist darauf, dass ohne entsprechende Lösungsansätze der vermehrte Import von Küken aus EU-Ländern, in denen keine gesetzlichen Vorgaben zum Kükentöten vorliegen, die Folge sein könnte. 

Zudem gibt es, selbst wenn eine geeignete Methode der Geschlechtsbestimmung bis 2024 gefunden wird, die alle derzeitigen Vorgaben erfüllt, weitere Bedenken: Der Einsatz der Technologien wird mit erhöhten Investitionskosten verbunden sein und somit besonders viele der kleinen Brütereien, die häufig Tiere für die ökologische Legehennenhaltung produzieren, vor eine große Herausforderung stellen.

 

Parlamentarisches Verfahren gestartet

Nach dem Beschluss des Kabinetts folgt nun das parlamentarische Verfahren, um die Gesetzesänderung des BMEL letztendlich zu verabschieden. Die Meinungen über diese Entwicklung gehen weit auseinander. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschafts kritisiert wiederholt die kurze Übergangsfrist bis 2024 und bezeichnet das Vorgehen als „nationalen Alleingang der Bundesregierung“, ohne die Wettbewerbsnachteile der deutschen Geflügelwirtschaft innerhalb der EU zu berücksichtigen. Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes sei eine gesetzliche Regelung zum Kükentöten längst überfällig. Zudem fordert die Tierschutzorganisation die Rückkehr zu den Zweinutzungshühnern und eine Abkehr von der „Hochleistungszucht“. Außerdem enthalte das Gesetz, nach Meinung des Deutschen Tierschutzbundes, ein Schlupfloch, wonach das Töten der Küken von Stubenküken (650-750g Lebendgewicht, <28 Lebenstage) weiter erlaubt bleiben soll.

Weitere Informationen

Pressemitteilung BMEL: Verbot von Kükentöten kommt

Pressemitteilung Deutscher Tierschutzbund: Tierschutzbund kritisiert Gesetzentwurf zum Kükentöten: Klöckner tauscht Tierleid gegen Tierleid

Pressemitteilung Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.:  Deutsche Geflügelwirtschaft kritisiert nationalen Alleingang eim Ausstieg aus Kükentöten als zu kurz gegriffen

 

 

 

 

Literatur