Tierbeobachtung als Basis der Fütterungsanpassung
Online-Netzwerktreffen der Impulsbetriebe Tierwohl Rind am 16. Juni 2021
Dass Fütterung, Gesundheit und damit auch Tierwohl eng miteinander verknüpft sind, und eine gute Tierbeobachtung zur Beurteilung unerlässlich ist, das wissen auch die Impulsbetriebe Tierwohl. Aber kann allein durch Beobachtung von Kühen auf die Umsetzung der gefütterten Ration geschlossen werden kann - ohne Daten aus der Milchleistungsprüfung oder Blut- und Harnproben zu Rate ziehen zu müssen? Der französische Tierarzt Bruno Giboudeau hat genau zu diesem Zweck über Jahrzehnte die Obsalim®-Methode entwickelt über die durch Beobachtung der Wiederkäuer einerseits eine Fütterungsdiagnostik durchgeführt und andererseits auch Anpassungsempfehlungen abgeleitet werden können. Die Netzwerkbeteiligten wollten sich den Einblick in dieses Selbsthilfetool nicht nehmen lassen und wurden von Tierarzt Dr. Andreas Striezel beim Netzwerktreffen an die Methode herangeführt.
Bedeutung des Pansenmikrobioms
Zu Beginn des Seminars ging er auf die Bedeutung des Pansenmikrobioms ein. Die Zusammensetzung der Bakterien, Pilze und weiterer Mikroorganismen im Wiederkäuermagen sind von großer Bedeutung für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Kuh. Nur sie sind in der Lage – als eine Art kleiner Bioreaktor – aus Pflanzen hochwertige Nährstoffe für den Wirt zu erzeugen. Neben den wichtigen Faktoren Wasser und Wärme benötigen sie vor allem eine regelmäßige Zufuhr mit Blick auf den Zeitpunkt und eine gewisse Stabilität bezüglich der Zusammensetzung, um gut zu funktionieren. Die Kunst ist es, die Fütterung so auszubalancieren, dass Rationsänderungen vorgenommen werden, bevor Krankheiten entstehen. Dazu müssen die von den Tieren gezeigten Anpassungssymptome erkannt werden, bereits bevor es zu einem absoluten Mangel oder einer absoluten Überversorgung kommt. Die schwierige Kontrolle dessen, was von der gefütterten Ration umgesetzt wird, ist gerade bei Weidegang und bei Trockenstehern eine Herausforderung. Gerade in diesen Bereichen nutzt die Methode ihre besondere Stärke, da sie rein über Tierbeobachtung funktioniert.
Gespannt ließen sich die Beteiligten erläutern, wie das System anhand der Beurteilung der Homogenität einer Herde und des „Kniekreuzes“ sowie der Pansenstabilität Ergebnisse liefert.
Die ganze Herde wird dazu in den Blick genommen. Die Körperkondition, die Vitalität, der Herdenrhythmus und die Sauberkeit sowie der Zustand des Fells werden dabei beurteilt. Ziel ist eine homogene Herde. Je homogener die Herde sich zeigt (und dabei geht es noch nicht darum, ob bei der ganzen Herde z.B. eher ein Mangel oder eine Überversorgung besteht), desto einfach ist eine ggf. nötige Anpassung der Fütterung. Inhomogene Herden haben immer Änderungspotential. Bei Obsalim® zählt als Herde immer die Gruppe, die im selben Abteil gehalten und gleich gefüttert wird.
Das Kniekreuz wird zur Beurteilung der Fütterung als auch der Umwelt herangezogen. Der Referent erläuterte, wie es sich mit der Zuteilung des Kniekreuzes verhält. Eine gedachte Linie zwischen Buggelenk und Knie der Kuh sowie eine vertikale Linie auf Höhe des Knies bilden das so genannte Kniekreuz. Dadurch kann bewertet werden, ob die Kühe möglicherweise Probleme haben, sich an äußere oder innere Bedingungen anzupassen.
Die Karten legen – Erfahrung statt Esoterik
Basierend auf den Symptomen wurden über 60 Obsalim®-Karten entwickelt, die Beobachtungen für die Bereiche Haare, Haut, Kot, Harn, Augen, Nase, Klauenerkrankungen, Futteraufnahme/Wiederkäuen, Milch und Fortpflanzung sowie allgemeine Beobachtungen (z.B. Körperkondition oder Verhalten) anführen. Rückschlüsse auf die Fütterung können dann über die Kriterien Energie (fermentierbar, global), Stickstoff (fermentierbar, global), Faser (fermentierbar, strukturell) und Pansenstabilität gezogen werden. Auf jeder Karte wird dem Symptom dann ein Wert zwischen -2 und +2 für die sieben Obsalim®-Kriterien zugeordnet. Um eine Übersicht über die Herde zu bekommen werden die auffälligsten und am häufigsten gezeigten Symptome, die auf den Karten beschrieben sind, gesucht. Das Prinzip lautet dabei: Mindestens drei Körperregionen bzw. mindestens drei Karten je Tiergruppe werden ausgewählt, die auf mindestens 2/3 der Herde zutreffen. Anschließend werden die Summen für jedes Obsalim®-Kriterium gebildet und das mit der stärksten Abweichung (positiv = Überschuss oder negativ = Mangel) steht für die Rationskorrektur im Vordergrund. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Kriterium Pansenstabilität immer prioritär zu bearbeiten ist, wenn Abweichungen vorliegen.
Dass das Erlernen der Methode rein über eine Online-Schulung nicht möglich ist, wurde schnell deutlich und so zeigten sich die Teilnehmer sehr interessiert, die Methode gegebenenfalls auch praktisch im Stall beim ersten Präsenztreffen auszuprobieren.