Zum Hauptinhalt springen

Und plötzlich spielt die Leber nicht mehr mit – Hepatische Lipidosen bei Mastputen

  • Dr. Henrike Glawatz, Moorgut Kartzfehn Turkey Breeder GmbH
  • Dr. Hartmut Meyer, Moorgut Kartzfehn Turkey Breeder GmbH
  • Franziska Müller, Naturland – Verband für ökologischen Landbau e.V.
  • Sandra Reidenbach, Deutscher Tierschutzbund e.V.
  • Dr. Kathrin Toppel, Hochschule Osnabrück
  • Jens von Seggern, Landwirt
  • Bettina Gräfin von Spee, Verband der Deutschen Putenerzeuger
  • Dr. Heinrich Windhaus, Die Praxis für Geflügel GbR

Dieses Dokument wurde im Rahmen des Verbundprojektes Netzwerk Fokus Tierwohl, Förderkennzeichen 28N-4-013-01 bis 28N-4-013-17, durch die Arbeitsgruppe „Pute“ des Tierwohl-Kompetenzzentrums Geflügel erarbeitet und durch DLG e.V. und FiBL Deutschland e.V. methodisch-didaktisch aufbereitet. 
Das Verbundprojekt der Landwirtschaftskammern und landwirtschaftlichen Einrichtungen aller Bundesländer hat das Ziel, den Wissenstransfer in die Praxis zu verbessern, um rinder-, schweine- und geflügelhaltende Betriebe hinsichtlich einer tierwohlgerechten, umweltschonenden und nachhaltigen Nutztierhaltung zukunftsfähig zu machen. 
Das Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. 

Alle Informationen und Hinweise ohne jede Gewähr und Haftung.

Herausgeber

DLG e.V.
Fachzentrum Landwirtschaft
Eschborner Landstraße 122
60489 Frankfurt am Main

FiBL Deutschland e.V.
Bereich Tierwohl
Kasseler Straße 1a
60486 Frankfurt am Main

Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder (auch für den Zweck der Unterrichtsgestaltung) sowie Bereitstellung des Merkblattes im Ganzen oder in Teilen zur Ansicht oder zum Download durch Dritte nur nach vorheriger Genehmigung durch die fachlich zuständige Geschäftsstelle des Tierwohl-Kompetenzzentrums und DLG e.V., Servicebereich Marketing, Tel. +49 69 24788-209, M.Biallowons@DLG.org

 

Die Leber ist ein Organ, das bei Säugetieren und Vögeln an einer Vielzahl von Stoffwechselprozessen beteiligt ist (Abb.1). Im Vergleich zu Säugetieren erfolgt die Fettsynthese beim Vogel jedoch zu einem Großteil in der Leber und nur zu einem relativ geringen Anteil im Fettgewebe. Dies ist begründet in anatomischen Unterschieden zwischen Säugetieren und Vögeln und begünstigt beim Vogel, und somit auch bei der Pute, die Fettanreicherung in der Leber.1

Eine vermehrte Anreicherung von Fett in der Leber kann zur Schädigung des Lebergewebes führen. Man spricht in diesem Fall von einer Fettleber oder auch von der Hepatischen Lipidose.

Erst hyperaktiv – dann teilnahmslos

Bei vermehrtem Auftreten von Leberverfettungen in einer Herde zeigen die Puten zu Beginn der Erkrankung ein hyperaktives und nervöses Verhalten.2 Nach zwei bis drei Tagen ändert sich jedoch das Bild: Die Tiere liegen teilnahmslos im Stall und bewegen sich kaum.3

Schwer erkrankten Puten fällt zum Teil das Atmen schwer. Verbunden mit der Atemnot kann ein Teil der Tiere blau gefärbte Kopfanhänge aufweisen (Abb. 2).2 (Diese Blaufärbung bezeichnet man auch als Zyanose.) Neben dem teilnahmslosen Verhalten der Puten mehren sich auch die Tierverluste. Je nach Schwere des Krankheitsgeschehens können die Tierverluste bis zu 20 % ansteigen.3

In Hinblick auf die Krankheitsverläufe zeigen sich jedoch Unterschiede zwischen Putenhähnen und -hennen. So sind die Krankheitsverläufe bei Putenhähnen in der Regel milder und die Verluste liegen bei bis zu 4 %.4

Die Phase der vermehrten Verluste dauert nur wenige Tage an.3 Die Tierverluste erreichen dabei ihren Höhepunkt meist am dritten Tag. Im Anschluss gehen sie innerhalb von drei bis vier Tagen wieder deutlich zurück.4 Auch wenn die verendeten Puten über die gesamte Stallfläche verteilt sein können, werden die Tierkörper vermehrt in der Nähe der Futterbahnen und auch an den Seitenwänden aufgefunden.3

Neben dem beschriebenen klinischen Verlauf kommt es gelegentlich auch zu längeren Krankheitsverläufen, Rückfälle sind aber insgesamt selten.5

Wie erkennt man die Hepatische Lipidose in der Sektion?

In der Sektion weisen betroffene Puten häufig eine gute Körperkondition auf. Die Tiere haben lediglich in der Bauchhöhle vermehrt Fett eingelagert (Abb. 3).1 Die Leber ist insgesamt vergrößert. Aufgrund von Einblutungen und weiteren Fetteinlagerungen sind an der Leber dunkle und helle Verfärbungen des Gewebes zu erkennen.2 Jedoch nicht nur in der Leber wird das Gewebe geschädigt. Gelegentlich sind auch auf dem Herzen stecknadelkopfartige Blutungen zu erkennen und der Herzbeutel enthält eine gelblich-klare Flüssigkeit.3 Auch an der Bauchspeicheldrüse können weißliche Nekrosen auftreten.4 Zudem gerinnt das beim Eröffnen des Tieres austretende Blut nicht.3, 5 Bei der Untersuchung des Magens zeigt sich häufig, dass die betroffenen Tiere vermehrt Einstreumaterial und Federn gefressen haben.3 Zudem werden nicht selten sowohl E. coli- als auch Clostridien im Rahmen der bakteriologischen Untersuchung nachgewiesen.3, 4 Jedoch gilt es zu beachten, dass ein Teil der Puten trotz klinischer Symptome keine ersichtlichen Veränderungen an der Leber aufweist. Bei diesen Tieren können bislang auch im Blut keine chemischen Abweichungen nachgewiesen werden.2

Welche Herden sind betroffen?

Betroffene Herden weisen in der Regel hohe tägliche Zunahmen auf, überschreiten die Sollgewichte der Zuchtunternehmen und sind bis zum Ausbruch klinisch unauffällig. Das Krankheitsbild wird bei unterschiedlichen Genetiken beobachtet.4 Nicht nur der Verlauf unterscheidet sich zwischen Putenhahn und Putenhenne, auch der Zeitpunkt des Auftretens unterscheidet sich: Während die Hennen insbesondere zwischen der 10. und 14. Lebenswoche erkranken2, treten die Symptome bei Hähnen in der Regel erst später zwischen der 12. und 18. Lebenswoche auf.

Wie kommt es zu einer Hepatischen Lipidose?

Bisher ist die genaue Krankheitsentstehung noch unklar.2 Es werden unterschiedliche Faktoren als mögliche Auslöser für die Entstehung der Fettleber diskutiert:

  1. Einfluss des Geschlechtshormon Östrogen: Aufgrund der unterschiedlichen Krankheitsverläufe bei Putenhahn und -henne wird ein Östrogeneinfluss diskutiert, da Östrogen die Fettbildung im Körper fördert.3
  2. Belastungsstress: Hohe Temperaturen, als auch veränderte Lichtprogramme können zu einem veränderten Futteraufnahmeverhalten führen. In Verbindung mit der verringerten Futteraufnahme wird verstärkt Fett im Körper mobilisiert und damit verbunden auch in der Leber eingelagert.2 In der Praxis hat sich gezeigt, dass viele Fälle von Hepatischer Lipidose in Zusammenhang mit Stresssituation auftraten.4 Mäster berichten, dass dem vermehrten Auftreten von Fettlebern häufig eine Störung der Futterbereitstellung vorausgegangen ist. Ebenso wird von Fällen berichtet, in denen eine verschobene Phasenfütterung auslösend gewesen sein könnte.4 So scheint ein Verschieben der Futterphasen nach vorne das Risiko für eine Fettlebererkrankung zu erhöhen.5
  3. Proteingehalt des Futters: Als weitere mögliche Ursache wird ein Mangel an essentiellen Aminosäuren wie Methionin und Lysin in Verbindung mit Rationen mit geringem Protein-Gehalt diskutiert. Zudem kann das Fehlen bestimmter verzweigter Aminosäuren zu einer Insulinresistenz führen, die die Entstehung einer Fettleber begünstigt.2
  4. Mangel an mehrfach ungesättigten Fettsäuren: Mehrfach ungesättigte Fettsäuren unterdrücken die Fettbildung und fördern den Fettabbau. Es wird daher diskutiert, ob eine unzureichende Versorgung mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die Ausbildung einer Fettleber begünstigt. 2
  5. Aufnahme von Mykotoxinen: Es ist bekannt, dass Mykotoxine Auswirkungen auf das Magen-Darm-System, die Leber und das Immunsystem haben können. Dabei ist die Toxizität des Mykotoxins abhängig von der aufgenommenen Menge und der Dauer, in der die Pute dem Toxin ausgesetzt war.2 
  6. Infektion mit Picornavieren: Picornaviren sind bekannt als Erreger der Aviären Enzephalitis (AE) und der Turkey-Viral-Hepatitis (TVH). Während bei der AE das Gehirn und das Rückenmark befallen wird und es zu hohen Verlusten kommen kann, verläuft die TVH eher subklinisch.4 Erste Versuche auf Betrieben, die zuvor vermehrt Probleme mit dem Auftreten von Fettlebern hatten, haben gezeigt, dass sich nach dem Einsatz einer AE-Impfung die Verluste in Verbindung mit Hepatischen Lipidosen verringerten.4 Die Impfung kann über das Trinkwasser durchgeführt werden. AE-Impfstoffe sind jedoch nur für Hühner zugelassen5, so dass eine Umwidmung im Vorfeld erforderlich ist.

Wie kann der Entstehung von Hepatischen Lipidosen vorgebeugt werden?

Grundsätzlich ist auf eine gute Futtermittelhygiene zu achten, um eine Kontamination mit Mykotoxinen zu vermeiden. Anpassungen in der Phasenfütterung sind im Vorfeld mit dem Futtermittelberater oder dem bestandsbetreuenden Tierarzt abzustimmen. Besonders zwischen der 10. und 14. Lebenswoche bei Hennen (und der 12. bis 18. Lebenswoche bei Hähnen) sollte eine genaue Tierbeobachtung erfolgen. Erscheint die Herde nervöser und schreckhafter, muss sofort in Absprache mit dem bestandsbetreuenden Tierarzt eine Behandlung eingeleitet werden.5

Zudem ist kontinuierliche Bereitstellung von Futter sicherzustellen. Sollte es dennoch zu einer Hungerphase kommen, selbst wenn diese nur kurz ist, sollte in diesem, in Hinblick auf die Leberverfettung, kritischen Zeitfenster, der Leberstoffwechsel unterstützt werden.5 Hierbei kann eine 7-tägige Gabe von Vitamin E dazu beitragen, die Verluste zu reduzieren.2 Ebenso kann die Gabe von Vitamin B die Leber entlasten und Vitamin K das Auftreten von Blutungen reduzieren.3

Weitere Präparate, die zur Entlastung des Leberstoffwechsels beitragen können5, sind:

  • Cholinchlorid
  • Betain
  • Silymarin (Mariendistel)
  • Artischocke

Im Fall einer starken Dysbiose kann ggf. auch eine antibiotische Behandlung gegen Clostridien5 oder E. coli erforderlich sein.

Bei Betrieben, die regelmäßig Probleme mit dem Auftreten von Hepatischen Lipidosen haben, empfiehlt sich der Einsatz von Futtersondermischungen. Diese verfügen über

  • ein veränderten Energie-Eiweiß-Verhältnis
  • ein verändertes Fettsäuremuster
  • zusätzlichen Vitamine

um die Leber in ihrer Funktion als zentrales Stoffwechselorgan in dieser kritischen Lebensphase zu unterstützen.4, 5

Literatur

  • 1 Zaefarian, F., Abdollahi, M.R., Cowieson, A. and Ravindran, V. (2019): Avian Liver: The Forgotten Organ. Animals, 9, 63; doi:10.3390/ani9020063
  • 2 Abd El-Wahab, A, Chuppava, B., Dimitri, R. and Visscher, C. (2021): Hepatic lipidosis in fattening turkeys: A review. Ger. J. Vet. Res. 1(3): 48-66.
  • 3 Sieverding, E. (2015): Fettstoffwechsel im Lot behalten. DGS-Magazin, 10:18-21
  • 4 Möhle, H. und Windhaus, H. (2016): Ein neuer Impfansatz im Test, DGS-Magazin, 22:33-35.
  • 5 Weier, S. und Freytag, S. (2017): Wenn die Leber verrücktspielt, DGS-Magazin, 22: 38-41.