Zukunftsperspektiven von Bruderhähnen und Zweinutzungshühnern
Hochkarätige Diskussionsrunde zu umstrittenen Alternativen zum Kükentöten auf der EuroTier digital
Mit den „Zukunftsperspektiven von Bruderhähnen und Zweinutzungshühnern“ beschäftigte sich eine hochkarätig besetzte Expertenrunde im Rahmen des EuroTier-Fachprogramms. Prof. Dr. Silke Rautenschlein (Projektleiterin Integhof, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover), Carsten Bauck (Bauckhof), Dr. Eva Moors (Tierschutzdienst, Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und Prof. Dr. Rudolf Preisinger (Lohmann Breeders GmbH) diskutierten die Vor- und Nachteile von Bruderhahnaufzucht und Zweinutzungshühnern als Alternativen zur Geschlechtsbestimmung im Ei. Die Moderation übernahm Katja Kulke von der Geschäftsstelle des Tierwohlkompetenzzentrums Geflügel an der Landwirtschaftskammer Niedersachsen.
Aufgrund des im Januar 2021 gefassten Beschlusses des Bundeskabinetts, den Gesetzesentwurf zum Töten von Eintagsküken zu verabschieden, hatte das Thema im Vorfeld noch zusätzlich an Bedeutung gewonnen. So dürfen nach derzeitigem Stand ab 2022 keine männlichen Küken der Legelinien mehr getötet werden und in einem zweiten Schritt ab 2024 keine Geschlechtsbestimmung im Ei nach dem 6. Bruttag stattfinden. Doch gängige Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Ei setzen momentan erst ab dem 8./9. Tag an. Eine flächendeckende Etablierung einer Methode zur Geschlechtsbestimmung vor dem 6. Bruttag in den Brütereien bis 2024 ist daher noch eine große Herausforderung. Bei derzeitigen, aber auch bei zukünftigen Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei tritt indessen immer eine gewisse Fehlerrate auf, sodass nicht alle Hähne durch die Verfahren erkannt werden. Nach bisherigen Erfahrungen von Herrn Prof. Preisinger können die Fehlerraten durchaus bei 2-5 % liegen. Aus diesem Grund hob der Geschäftsführer der Lohmann Breeders GmbH hervor, dass für diese Tiere zukünftig eine Branchenlösung gefunden werden müsse.
Zu Beginn der Diskussion stellte Carsten Bauck, die von ihm mit gegründete Bruderhahn Initiative Deutschland vor. Diese hat sich aus ethischen Gründen zum Ziel gesetzt, die zugehörigen Hähne der Legelinien aufzuziehen. Herr Bauck, der nach Demeter-Richtlinien wirtschaftet, unterstützt damit die allgemeinen Bestrebungen der Ökoverbände, zukünftig ohne Geschlechtsbestimmung im Ei auszukommen und stattdessen Bruderhähne und Zweinutzungshühner einzusetzen. Der Aufzüchter sieht jedoch auch die Herausforderungen bei der Haltung von Bruderhähnen: Eine davon ist, dass es bei der vergleichsweise längeren Aufzucht mit Beginn der Pubertät bereits zu Hahnenkämpfen kommt. Niedrige Besatzdichten von max. 18 kg/m², viel Beschäftigungsmaterial und eine ausreichende Stallstrukturierung seien daher notwendig. „Der Bruderhahn ist nur eine Symptombekämpfung“, so Bauck, „in Wahrheit geht es in Zukunft um die Zucht und den Einsatz von Zweinutzungshühnern.“ Beim Einsatz von Zweinutzungshühnern würde sich aber sehr schnell die Preisdifferenz zwischen konventionellen und biologischen Eiern vergrößern. Ein Wandel in der Verbraucherakzeptanz müsse erfolgen, um eine Umstellung zu ermöglichen und die Landwirte fair zu entlohnen.
Auch Frau Prof. Dr. Rautenschlein sieht Vorteile bei den Zweinutzungshühnern. Die männlichen Tiere seien ruhiger. Zudem seien bei Untersuchungen die Verluste im direkten Vergleich mit Hähnen der Linie Lohmann Brown etwas geringer gewesen. Hinsichtlich des Verhaltens verwies die Wissenschaftlerin im Besonderen auf die Vorteile der Hennen. So zeigten die Tiere im Projekt Integhof weniger Federpicken und Kannibalismus und wiesen selbst zum Ende der Legeperiode ein intaktes Federkleid auf. Außerdem habe sich gezeigt, dass die Energie- und Proteindichte im Futter bei den Lohmann Dual-Tieren ohne Leistungseinbußen reduziert werden könne und somit der Einsatz regionaler Futtermittel möglich sei.
Trotz einiger Vorteile laufe die Nachfrage für Zweinutzungshühner in Deutschland jedoch derzeit gegen 0 %. Prof. Dr. Preisinger betonte, dass die Tiere zurzeit zum großen Teil für die wissenschaftliche Forschung genutzt würden. Nur kleine Partien würden, meist in Mobilställen, in Deutschland gehalten. Dies läge vor allem an der geringen Wirtschaftlichkeit der Tiere. Sowohl bei den Bruderhähnen als auch bei den Zweinutzungshühnern sei der Fleischansatz besonders in Hinblick auf das nachgefragte Brustfleisch vergleichsweise gering. Zudem sei die Legeleistung beim Zweinutzungshuhn anfangs ca. 20% niedriger gewesen. Auch wenn das Zuchtunternehmen Lohmann Breeders bestrebt sei, die Leistungsparameter des Zweinutzungshuhns zu verbessern, werde „der Unterschied signifikant bleiben“, so Prof. Preisinger. Die Verbraucher seien bislang nicht bereit, mehr Geld für diese Produkte auszugeben. Gerade das Fleisch müsse über die Eier querfinanziert werden, um auf dem Markt eine Chance zu haben. Die Fleischbeschaffenheit der Bruderhähne und Zweinutzungshühner indes unterscheidet sich deutlich gegenüber derjenigen von herkömmlichen Masttieren. Deshalb empfiehlt Carsten Bauck eher, das aromatisch schmeckende Fleisch als Schmorgericht zuzubereiten.
Neben den Bedenken hinsichtlich einer wirtschaftlichen Vermarktung und fehlender Verbraucherakzeptanz wurde die Problematik fehlender gesetzlicher Vorgaben für die Haltung von Bruderhähnen thematisiert. Aufgrund der Nutzung zur Fleischerzeugung gelten für Bruderhähne derzeit die in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung formulierten Mindestanforderungen für Masthühner. Dies sei laut Frau Dr. Moors sowohl in Hinblick auf die Unterschiede im Verhalten, aber auch die Vorgaben der Besatzdichte mit 39 kg/m² als kritisch zu sehen. „Die Haltungsanforderungen müssten sich eher an den Haltungsanforderungen für Junghennen orientieren“, forderte die Mitarbeiterin des Tierschutzdienstes. Im Juli 2020 wurde von Seiten des Bundesrates die Bitte an die Bundesregierung herangetragen, eine Änderung in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vorzunehmen. Die Vorgaben für Masthühner seien nicht geeignet, um auf Bruderhähne übertragen zu werden. Hierzu seien bereits Gespräche auf Bundesebene geführt worden. Aus Sicht des Tierschutzplans Niedersachsen sei die Ausarbeitung von Mindestanforderungen für die Haltung von Bruderhähnen auf jeden Fall erforderlich, betont Dr. Moors am Ende ihrer Ausführungen.
Nähere Informationen zur Geschlechtsbestimmung im Ei als Alternative zum Kükentöten finden Sie auf der Projekthomepage unter https://fokus-tierwohl.de/de/gefluegel/geschlechtsbestimmung-im-ei