Früherkennung von kranken/verletzten Tieren
2.1 Gründe für die Tierkontrolle
Die Früherkennung ist ein besonders wichtiger Bestandteil zur Vorbeugung von schweren Erkrankungen der Rinder im Bestand. Je früher ein krankes oder verletztes Tier erkannt wird, desto eher bestehen Heilungschancen, Schmerzen, Leiden und Schäden lassen sich vermeiden bzw. reduzieren und dementsprechend verbessert sich das Tierwohl. Das Risiko für Gewebe- und Organschädigungen kann durch die Früherkennung auf ein Minimum gesenkt werden. Erforderliche Maßnahmen, wie das Verbringen in eine Genesungsbucht und der Beginn der Behandlung, sollen nach der Früherkennung schnell erfolgen. Ökonomische Gründe sollten nicht ausschlaggebend sein, sondern die ethisch-moralische und gesetzlich verankerte Verpflichtung dem Tier gegenüber. Dennoch kann eine frühe Erkennung und Behandlung von erkrankten oder verletzten Tieren zu geringeren ökonomischen Belastungen durch Minderleistung bzw. Behandlungs- und Remontierungskosten führen. Ein reduzierter Einsatz von Medikamenten schützt weiterhin die Umwelt und verhindert das Entstehen von resistenten Keimen, die auch in der Humanmedizin ein Problem darstellen.
Daher ist es wichtig, die Tiere täglich bei Routinearbeiten zu kontrollieren und auffällige Tiere näher zu untersuchen, um schnellstmöglich Maßnahmen zur Verbesserung des Tierzustandes zu ergreifen.
2.2 Dokumentation
Zur Tierbeobachtung sowohl gesunder als auch kranker und verletzter Tiere, gehört immer auch eine Dokumentation der Beobachtung.
Ein großer Vorteil der Dokumentation besteht darin, dass die Tierhalter Veränderungen am Tier erkennen und in einen zeitlichen Zusammenhang bringen, sowie die Wirkung der ergriffenen Maßnahmen im Tierbestand beurteilen können. Dies ist nicht mit den täglichen Routinekontrollen zu vergleichen, bei denen es beispielsweise um das Erkennen von akuten Veränderungen im Allgemeinbefinden geht, sondern hat unter anderem zum Ziel auch schleichende Veränderungen wahrzunehmen.
Auch für den Tierarzt kann die Dokumentation von Vorteil sein, da Krankheitsverläufe exakter wiedergespiegelt werden können als es über einen Gedächtnisbericht möglich ist. Die gut sichtbaren und festgehaltenen Krankheitsverläufe ersetzen keine Einzeltieruntersuchung, können aber Grundlage für weitere Entscheidungen sein, beispielsweise, ob ein Tier in eine Genesungsbucht verbracht werden muss.
Eine ordentliche Dokumentation ist laut Tierschutzgesetz § 11 (8) verpflichtend, d. h. der Tierhalter muss in der Lage sein, diese auf Verlangen der zuständigen Behörde vorlegen zu können
Die Verpflichtung zur Dokumentation ergibt sich zudem aus den geänderten Vorschriften des EU-Tiergesundheitsrechts. Hier wurden unter anderem die Aufzeichnungspflichten der Betriebe dergestalt neu geregelt, dass die Ergebnisse von Tiergesundheitsbesuchen durch Tierärzte sowie Testergebnisse von untersuchten Tieren auf Papier oder in elektronischer Form zu dokumentieren sind.
Die tägliche Inaugenscheinnahme der Tiere kann auch durch digitale Systeme unterstützt werden. Dabei gibt es einerseits Apps und Software, welche die Dokumentation von Befunden erleichtern und andererseits Systeme, mit denen tierbezogen Daten erfasst werden können. Über Transponder lassen sich Werte beim Melken (Milchleistung, ggf. Milchfluss, -farbe, Leitfähigkeit…), das Abrufen von Kraftfutter oder Milch/Milchaustauscher an Fütterungsstationen oder das Gewicht durch eine in den Laufgang eingelassene Waage tierindividuell erfassen. Weiterhin gibt es Systeme zur Erfassung der Tiertemperatur, von Aktivitäts- und Ruheverhalten, der Wiederkäuaktivität und des Aufenthaltsortes. Die Datenlogger können an der Ohrmarke, einem Halfter, Halsband oder am Bein eines Tieres befestigt sein oder per Boli im Tier Daten erfassen. Durch die regelmäßige Kontrolle der gesammelten Daten, können schleichende Prozesse teils früher und besser erkannt werden, als im Rahmen der auf den eigenen Sinnen beruhenden Beobachtung durch den Tierhalter. Auch Alarmfunktionen können helfen Abweichungen zu entdecken. Allerdings muss betont werden, dass Precision Livestock Farming – also die Nutzung digitaler Systeme - ein Hilfsmittel ist und nicht die tägliche Tierbeobachtung ersetzen sollte. So kann beispielsweise über die Daten kontrolliert werden, ob eine Kuh in der Kraftfutterstation war. Ob die Kuh das abgerufene Kraftfutter selbst gefressen hat, kann darüber jedoch nicht überprüft werden. Weiterhin muss gesagt werden, dass die Aussagegenauigkeit und Überwachungseffizienz der meisten Systeme nur bei Standardrassen in Stallhaltung überprüft wurden. Bei abweichenden Haltungssystemen, bspw. Weide, kann es zu fehlerhaften Ergebnissen kommen.
2.3 Normalverhalten
Abweichungen vom Normalverhalten können auf eine Erkrankung oder Verletzung hinweisen. Am einfachsten lassen sich das Ruhe- und Fressverhalten, sowie das Bewegungs- und Sozialverhalten beobachten.
2.3.1 Ruhe- und Fressverhalten
Rinder sind Wiederkäuer und benötigen aufgrund ihrer Vormagenbiologie kontinuierlich Nahrung. Über den Tag werden die Fress- und Wiederkauphasen, die sich auch bis in die Nacht verschieben können, gleichmäßig verteilt. Die Maxima der Futteraufnahme sind insbesondere am Morgen und am Abend zu finden. Es besteht die Tendenz, dass die Tiere die Hauptaktivitäten (Ruhen und Fressen) gemeinsam in der Herde ausführen. Die Fressdauer auf der Weide variiert in Abhängigkeit von Futterangebot und Individualität des Tieres pro Tag zwischen sechs und zehn Stunden. Im Stall sind es meist zwei Stunden weniger. Sobald die Futteraufnahme abgeschlossen ist, beginnt die Wiederkauphase, die überwiegend im Liegen stattfindet. Die Dauer beträgt insgesamt acht bis zehn Stunden. Futteraufnahme und anschließendes Liegen mit Wiederkäuen findet den Tag über verteilt im Wechsel statt. Rinder schlafen nur rund zwei bis drei Stunden innerhalb von 24 Stunden.
2.3.2 Bewegungs- und Sozialverhalten
Auf der Weide laufen Rinder in Verbindung mit der Futteraufnahme mehrere Kilometer am Tag. Im Stall ist dies nicht notwendig, so dass die Laufstrecken geringer sind. Wie im Kapitel zuvor beschrieben, sind Rinder Herdentiere und leben in Sozialverbänden, die über Dominanzbeziehungen geregelt sind, welche sich auch in Rangauseinandersetzungen äußern. Sie halten untereinander eine Individualdistanz ein. Der Abstand zueinander wird von verschiedenen Faktoren bestimmt. Rangauseinandersetzungen treten hauptsächlich dann auf, wenn der Rang zwischen Tieren unklar ist (z. B. durch Umgruppierung), es zu Konkurrenzsituationen kommt oder die Individualdistanz zwischen den Tieren z. B. auf Grund von Platzmangel oder beim Treiben nicht eingehalten werden kann.