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Erfahrungsaustausch zu verschiedenen Abferkelsystemen – Praktiker berichten

Wie sieht zukünftig die Abferkelung aus? Mit der Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) im Februar 2021 müssen Landwirt:innen u. a. die Haltung der Sauen in der Abferkelung umstrukturieren. Allerdings bleibt die Frage: „Für welches System entscheide ich mich?“. Um in Zeiten der Afrikanischen Schweinepest und von Corona trotzdem den Austausch zu ermöglichen, luden die Tierwohl-Multiplikatorinnen aus Thüringen, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern vier Praktiker:innen zu einer Online-Veranstaltung ein, um von ihren Erfahrungen im täglichen Umgang mit ihrem Abferkelsystem zu berichten.

Umfrageergebnisse "Abferkelsysteme im Fokus"

Zu Beginn ging der Referent für Ferkelerzeugung des LSZ Boxberg Lukas Schmidle auf den aktuellen gesetzlichen Rahmen und die Umfrage „Abferkelsysteme im Fokus“ ein. Mit der Änderung der TierSchNutztV wurden der Mindestplatzbedarf und die Fixierdauer für Sauen, die Anforderungen an den Boden, die Größe und die Ausgestaltung des Ferkelnestes sowie die Bedingungen für die Einrichtung von Kühlungsmöglichkeiten festgelegt. Die Umfrage „Abferkelsysteme im Fokus“, die durch das Tierwohl-Kompetenzzentrum Schwein durchgeführt wurde, zielte darauf ab, einen Überblick über die in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits im Einsatz befindlichen Buchtentypen zu erhalten und den Landwirt:innen Tipps als „Entscheidungshilfe“ sowie Empfehlungen zum Management zu geben.

Wie die Landwirt:innen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Stallbauunternehmen aufkommende Probleme bei der Entwicklung ihrer Systeme lösen und welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind, zeigten die anschließenden Erfahrungsberichte der Praktiker:innen.

Die eingeladenen Landwirt:innen kamen aus Baden-Württemberg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Es waren unterschiedliche Betriebsgrößen und -strukturen vertreten:

Bevor die Referierenden auf ihre Erfahrungen zu sprechen kamen, stellten sie ihren Betrieb kurz vor. Dabei wurde ersichtlich, dass die Systeme Bewegungsbucht und freie Abferkelung funktionieren und in den verschiedenen Betriebsstrukturen damit gearbeitet wird. Alle vier Landwirte betonten immer wieder, dass das Gelingen der Umstellung nur dann reibungslos funktioniert, wenn das neue System mit einer positiven Grundeinstellung angegangen wird. 

Mit reichlich Bildern zeigten sie die Vor- und Nachteile ihrer Abferkelbuchten. Dabei wurde nichts geschönt, sondern sachlich und realitätsgetreu dargestellt.

Agrarprodukte Bernsgrün-Hohndorf eG

Die Agrarprodukte Bernsgrün-Hohndorf eG aus Thüringen konnte im Frühjahr 2018 ihre beiden neuen Abferkelabteile mit jeweils 130 quadratischen Bewegungsbuchten der Firma Vissing in Betrieb nehmen. Die Markterkundung, der Neubau sowie die folgenden Betriebserprobungen und –anpassungen werden im Rahmen von EIP-Agri-Projekten begleitet. Herr Franz berichtete, dass sich die Mitarbeiter und Tiere zu Beginn an das neue System gewöhnen mussten und schon nach kurzer Zeit die ersten Anpassungen erfolgten. Neben Anpassungen der Stalltemperatur wurden kleinere Umbaumaßnahmen an den Abferkelbuchten vorgenommen. Die Kollegen des Betriebes brachten eine Sicherung gegen das Herabfallen des Deckels vom Ferkelnest an (Bild 1), damit dieser nach der Kastration unter Isoflurannarkose geöffnet bleibt und somit das Ersticken der Ferkel verhindert. Des Weiteren befestigten sie das Einstiegsbrett für die Mitarbeiter (Bild 2), da die älteren Ferkel dieses regelmäßig hochschoben und dann im Gang „spazieren“ gingen. Nach zwei Jahren gingen die ersten Ferkelnester auf Grund von Materialermüdung kaputt. Diese Problematik konnte gemeinsam mit dem Stallausrüster gelöst werden, so dass die neueren Modelle länger halten. Aktuell wird noch nach einer Lösung für ein Problem mit dem Standfuß vom Ferkelschutzkorb gesucht. Ist der Korb geöffnet, kommt es aktuell häufig zu Verletzungen an den Ferkelklauen (Bild 3).

Trotz kleinerer Umbaumaßnahmen ist die „Agrarprodukte Bernsgrün“ mit dem neuen System zufrieden. Der Betrieb hat viele positive Veränderungen im täglichen Ablauf beobachtet. Zum Beispiel wurde die Hauptabgangsursache in den Griff bekommen, die Tierbeobachtung kann besser erfolgen, das Arbeitsklima hat sich verbessert und die Anzahl der abgesetzten Ferkel ist gestiegen. Nach Ende der Übergangsfrist im Jahr 2036 wird der Betrieb erneute Umbaumaßnahmen vornehmen müssen, da die geforderten 6,5 m2 Buchtenfläche nicht erreicht werden. Auf die Frage, ob Herr Franz schon wüsste, wie, gab er ehrlich zu, dass er sich dazu konkrete Gedanken macht, wenn es soweit ist. 

Ferkelhof Schmidle

Auf dem Ferkelhof Schmidle, im Ostalbkreis von Baden-Württemberg, wird im 2020 fertig gestellten Abferkelstall mit der Schauer BeFree-Abferkelbucht gearbeitet (ein Video dazu finden Sie hier). Diese ermöglicht eine Fixierung der Sau. Herr Schmidle berichtete, dass die Sauen sich schnell an das größere Platzangebot gewöhnen und es ihm regelrecht übelnehmen, wenn sie nach dem Nestbau fixiert werden. Der entstehende Stress kann zu vermehrten Geburtsproblemen führen. Daher fixieren sie die Jungsauen, die die Fixierung nicht kennen, nur noch, wenn es notwendig ist. Ältere Sauen werden in der Regel vor der Abferkelung fixiert, und anschließend je nach Gesundheits- und Fitnesslevel von Sau und Ferkeln individuell geöffnet. Er beobachtete, dass die Sauen in der Bewegungsbucht wesentlich entspannter und vermehrt in Seitenlage liegen anstatt zu sitzen. Dies erleichtert den Ferkeln den Zugang zum Gesäuge. Zur Vermeidung von Erdrückungsverlusten wird der Abferkelstall mit max. 20 °C um die Geburt gefahren. Für ein angenehmes Stallklima im Sommer ist eine Hochdruckkühlung verbaut. Zwingend benötigt wird ein gut beheiztes und geschlossenes Ferkelnest, um dem Temperaturanspruch der Ferkel gerecht zu werden.

Die Bucht hat das Ferkelnest und den Futtertrog am Gang. Damit sind die wichtigen Elemente für die tägliche Tierkontrolle schnell einsehbar. Bei der Anordnung sollte unbedingt verhindert werden, dass „Problem-Ecken“ entstehen, in die die Sauen rückwärts „einparken“ können. Bei der Geburt können die Ferkel dort nicht schnell genug von der Sau weg (Bild 4). Das Risiko von Erdrückungsverlusten steigt. Zunächst wurden Ketten vor dem Trog eingehängt, die dort ein Abliegen verhindern sollten. Später wurde die Mutter-Kind-Tränke versetzt und der Trog weiter Richtung Buchtenmitte positioniert. Die Sauen hatten dadurch mehr Kopffreiheit und die Erdrückungsverluste konnten reduziert werden.

Der Boden vor dem Futtertrog wurde ebenfalls angepasst. Die Sauen koteten regelmäßig auf die Liegefläche, da sie nicht den einen Schritt zurückgingen, um zum Abkoten über dem Gitterrost zu stehen. Das Versetzen der Planelemente nach vorne Richtung Futtertrog führte zu einer anderen Positionierung der Sau auf der Liegefläche und zu einer deutlichen Verbesserung (Bild 5).

Tobias Urban

Tobias Urban aus dem baden-württembergischen Landkreis Heidenheim hat ebenfalls 2020 einen neu gebauten Abferkelstall in Betrieb genommen, der im Rahmen eines EIP-Projektes entstand (einen Bericht inkl Video finden Sie hier). Die Buchten, in denen die Sauen frei abferkeln, sind eine Eigenkonstruktion, die in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Schlosser gebaut wurde. Sie sind gleichzeitig auch die Buchten zur Ferkelaufzucht (Bild 6). Die Ferkel bleiben somit nach dem Absetzen in ihrer gewohnten Umgebung. Dies vermindert den Stress und ein damit verbundenes Einknicken der körperlichen Entwicklung.

Herr Urban und Herr Schmidle waren sich einig, dass der natürliche Nestbautrieb durch Einstreumaterial angeregt wird und die Sauen beruhigt (Bild 7). Ruhigere Sauen achten mehr auf ihre Ferkel, treten sie weniger und legen sich vorsichtiger ab. Dies ist ein wichtiger Aspekt, da das Risiko von Erdrückungsverlusten in der freien Abferkelung erhöht ist.

Ebenso wie die Sau müssen sich auch die Ferkel in der Bucht zurechtfinden und dürfen sich nicht verlaufen, erklärte Herr Urban. Durch die unterschiedlichen Temperaturansprüche von Sau und Ferkel wird es vor allem den neu geborenen Ferkeln außerhalb des Ferkelnests schnell zu kalt. Optimalerweise liegt die Sau nah am Ferkelnest (Bild 8) und nicht in der anderen Ecke der Bucht (Bild 9). So finden die Ferkel schnell den Weg zurück in die Wärme. Im Ferkelnest hat sich eine Fußbodenheizung bewährt, auf die nicht verzichtet werden sollte. Herr Urban betonte, dass es eine hohe Menge Stroh erfordert, damit die Ferkel im Nest nicht auskühlen. Mit der Fußbodenheizung muss deutlich weniger eingestreut werden. Um wiederum die Stalltemperatur an heißen Tagen zu regulieren, hat Herr Urban ein Cool-Pad integriert. Die in den Dachraum gesaugte warme Luft wird durch das Cool-Pad heruntergekühlt und gelangt dann erst über die Decke in den Stallraum.

Ökohof Liescher

Der Ökohof Liescher, gelegen im Landkreis Rostock, arbeitet seit drei Jahren mit dem System der freien Abferkelung (ein Video zum Betrieb finden Sie hier​​​​​​​). Die Zucht auf Mütterlichkeit, gute Fruchtbarkeit und Milchleistung sind für den Betrieb Liescher essentielle Erfolgsparameter für die Umsetzung dieses Haltungskonzepts. Die Säugezeit beträgt hier 42 Tage. Die Jungsauen ferkeln seit der Umstellung auf freie Abferkelung deutlich entspannter ab und kommen ihrem natürlichen Verhalten des Nestbaus nach. Dieses Verhalten wird zusätzlich durch das eingesetzte Stroh gefördert. Aufgrund der Bewegungsfreiheit und der damit verbundenen erhöhten Aktivität der Sau haben sich die Mastitis-Metritis-Agalaktie-Probleme (MMA) für den Betrieb sichtlich verringert. Auch für die Ferkel bringt es einige Vorteile. Sie fangen früher an zu fressen, da die Mutter die Ferkel beim Fressen anlernen kann. Zudem sind sie lauffreudiger als Ferkel von Sauen, die in Ferkelschutzkörben abferkeln. Nachteile dieses Verfahrens sieht der Betrieb Liescher im sehr hohen Strohverbrauch je Sau und Jahr und dem höheren Arbeitsaufwand durch die dreimalige Entmistung pro Woche. Als wichtigen Tipp für Betriebe, die in dieses Haltungsverfahren einsteigen wollen, gibt Frau Liescher mit auf den Weg, dass Jungsauen ausgewählt werden sollten, die sehr zutraulich sind, um aggressives Verhalten der Sau gegenüber dem Betreuer zu vermeiden. Auch das Integrieren von Abliegestangen in der Bucht ist besonders wichtig, um Erdrückungsverluste zu minimieren.

 

Im Anschluss an die Vorträge standen die Praktiker:innen für Fragen zur Verfügung. So wurde unter anderem die Frage nach der geeigneten Genetik gestellt und wie es mit dem Arbeitsschutz aussieht. Alle Landwirt:innen waren sich hier einig: Die Sau muss mütterlich und umgänglich sein, ohne dabei einen zu hohen Beschützerinstinkt gegenüber dem Menschen zu haben. Sauen, die dem Menschen gegenüber aggressiv sind, werden ausselektiert. Auch ist es wichtig, dass die Tiere regelmäßigen und vor allem angenehmen Kontakt zum Mensch haben. Es darf gerne auch mal am Kopf gekrault werden. Damit lassen sich Arbeitsunfälle weitestgehend vermeiden.

Alle eingeladenen Betriebe arbeiten gerne mit ihrem System und beobachteten Verbesserungen bei ihren Sauen, wie z. B. einen unkomplizierteren Geburtsverlauf oder allgemein ruhigere und entspanntere Tiere.

Die hohe Teilnehmerzahl und die interessierten Fragen zeigten, dass die Landwirt:innen auf der Suche nach Möglichkeiten zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch sind. Weitere Veranstaltungen in dieser Form sind in Planung.

Autoren: Sophie Klinkhart (TLLLR), Josefine Scheinert (LSZ Boxberg), Patricia Lößner (LFA MV)