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Digitalisierung im Schweinestall

Die Landwirtschaft wird immer mehr durch digitale Systeme unterstützt, die auch in der Tierhaltung auf dem Vormarsch sind. Momentan ist SmartFarming hauptsächlich in der Milchviehhaltung ein großes Thema. Doch wie schaut es im Schweinebereich aus und wie können digitale Systeme den Landwirt dort unterstützen? Diesen Fragen gingen Dr. Marc Alexander Lieboldt und Dr. Franz Lappe in einem Webseminar der Landwirtschaftskammer (LWK) Niedersachsen auf den Grund.

Digitale Systeme unterstützen tägliche Tierkontrolle

„Generell sollen die Systeme, die gerade entwickelt und erprobt werden, die Landwirte bei der täglichen Tierkontrolle und in ihrer Entscheidungsfindung z.B. für Behandlungen unterstützen, nicht aber ersetzen", beginnt Dr. Lieboldt von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen seinen Vortrag. Die Sensoren und Techniken, die zukünftig im Stall verbaut werden können, erfassen kontinuierlich die Ist-Situation im Stall. Somit werden die Tiere und ihre Haltungsumwelt also auch überwacht, wenn der Landwirt nicht im Stall ist. Durch die Ausgabe von Frühwarnmeldungen, wenn die Technik Abweichungen erkennt, soll es dann möglich sein, Krankheiten, Verhaltensauffälligkeiten oder Leistungsveränderungen früher zu erkennen und auf diese zu reagieren. Daten, die erfasst werden, sind beispielsweise die Geräuschmuster, die Luftzusammensetzung und die Aktivität der Tiere.

Generell werden momentan Systeme für folgende Bereiche entwickelt:

  • Rauscheerkennung
  • Geburtsüberwachung
  • Tierverhalten
  • Körpergewicht/-kondition
  • Bewegung, Aktivität, Lahmheit
  • Selektion
  • Lokalisation, Zählen
  • Vokalisation
  • Wasserversorgung

Ziel muss es sein, die im Stall erfassten Daten miteinander zu verknüpfen und zusammen auszuwerten, sodass dem Landwirt eine umfassende Handlungsempfehlung gegeben werden kann. „Doch daran wird momentan noch gearbeitet“, berichtet Dr. Lieboldt. Die Systeme und Sensoren müssen erst noch das komplexe Verhalten der Schweine erlernen, bevor sie einsatzfähig sind. Später soll es dann möglich sein, Daten buchtenweise oder auf Einzeltierbasis zu erfassen und auszuwerten.

Sensorbasiertes Frühwarnsystem

Unter Federführung von Herrn Dr. Lieboldt beschäftigt sich auch die Schweineversuchsstation der LWK Niedersachsen in Wehnen in enger Kooperation mit Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit der Digitalisierung im Schweinestall. In dem vom BMEL geförderten Projekt „DigiSchwein“ wird an einem sensorbasierten Frühwarn- und Entscheidungshilfesystem gearbeitet, das nach seiner experimentellen Entwicklung unter Praxisbedingungen getestet werden soll. Das generelle Ziel des Projektes ist es, die im Stall erfassten Daten der unterschiedlichen Sensoren so zusammenzufassen, dass der Landwirt automatisch Handlungsempfehlungen von dem System bekommt.

An der Schweineversuchsstation in Wehnen wurden die Mast- und Aufzuchtbuchten sowie die Abferkelbuchten erneuert und mit verschiedensten Sensoren und Techniken ausgestattet. Unter anderem kommen folgende Systeme zum Einsatz:

  • Wärmebildkameras für die Messung der Körpertemperatur
  • RGB-Kameras zur Aktivitätserkennung und für die Abferkelung
  • 3D-Kameras für die Gewichtserfassung der Tiere
  • Schadgassensoren

Wer sich ein genaueres Bild des Stalles und der verbauten Sensoren machen möchte, kann dies unter Versuchsstation für Schweinehaltung (matterport.com) im Rahmen eines virtuellen Stallrundgangs tun.

Augenmerk wird in dem Projekt auch auf den Verschmutzungsgrad der Technik im Stall gelegt. Beobachtet wird unter anderem, ob Kameras durch Fliegen verschmutzt werden und wie die Systeme mit der Staub- und Schadgasbelastung im Stall zurechtkommen.

Abschließend stellt Dr. Lieboldt noch einmal klar, dass die Digitalisierung kein Selbstläufer ist und im Schweinebereich noch ganz am Anfang steht. Funktionieren die Systeme allerdings gut, können diese die Landwirte bei den wachsenden Herausforderungen in der Schweinehaltung unterstützen und die Tiergesundheit und das Tierwohl positiv beeinflussen. Allerdings wird es noch einige Zeit dauern, bis komplexere Systeme ausgereift und ökonomisch für Landwirte interessant werden.

Bildauswertung von Kamerasystemen

Im zweiten Teil des Webseminars berichtete Dr. Franz Lappe von der Firma „Vivet Ihre Tiermediziner GmbH“ über seinen Erfahrungen bei der Bildauswertung von Kameras. Diese setzt er zur Ursachenermittlung für Caudophagie (Schwanzbeißen) ein. Zu Beginn seines Vortrages stellt er klar, dass Caudophagie in allen Altersstufen bei Schweinen auftreten kann. Am häufigsten kommt es jedoch in der Vormast, also bis ca. 60 kg Lebendgewicht, zum Beißgeschehen. Die Auslöser für diese Schwanzbeißausbrüche können unterschiedliche Ursachen haben, wie z. B. Haltung, Fütterung, Genetik oder Gesundheit. In vielen Versuchen wurde bereits nach den Auslösern für Schwanz- oder Ohrbeißen gesucht, doch es konnte nie DIE eine Ursache ermittelt werden. Dr. Lappe wollte sich aber nie mit dem Auftreten von Schwanzbeißen abfinden, sondern suchte nach einer Lösung zur Aufdeckung von Problemen in den Betrieben. Er erkannte, dass sich das Verhalten der Schweine schlagartig ändert, wenn jemand den Stall betritt, was eine direkte Beobachtung des Schwanzbeißens erschwert. Die Tiere beobachten dann die hereinkommende Person und sind so von ihrer normalen Aktivität abgelenkt. Also beschaffte sich der Tierarzt eine Kamera, um damit das Verhalten der Tiere unbeeinflusst über mehrere Stunden beobachten zu können.

Bei der Betrachtung dieser Videoaufnahmen fielen ihm drei unterschiedliche Beißformen auf. Zum einen das zweistufige Beißen, bei dem die Schweine Erkundungs- und Wühlverhalten zeigen, welches in Beißen mündet. Zum anderen das plötzliche Beißen, welches häufig vorkommt, wenn die Ressourcen knapp sind. Und zu guter Letzt das obsessive Beißen. Hier kommt es ohne offensichtlich erkennbaren Grund zu Caudophagie.

Die Videoaufnahmen wertet Dr. Lappe noch händisch aus, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Er sieht sich hauptsächlich die Sequenzen an, in denen die Tiere aktiv sind. Ist der Zeitpunkt an dem es zum Beißen kommt identifiziert, beginnt die Ursachenforschung im Stall.

Der Tierarzt erzählt, dass er einige Betriebe betreut, bei denen das Schwanzbeißen während oder kurz vor bzw. nach der Fütterung auftritt. Ist dies der Fall, sollte überprüft werden, ob genug Fressplätze vorhanden sind und ob das Flüssigfutter zu stark verdünnt ist. Tritt Schwanzbeißen immer wieder im Laufe des Tages auf und die Tiere koten mittig in die Bucht, kann es sein, dass der Luftstrom für die Tiere unangenehm ist.

Ein weiterer Punkt, den er beobachtet hat, ist, dass die Tiere das Futter teilweise zu schnell aufnehmen, so dass das Futter im Magen nicht vorverdaut werden kann. Das unverdaute Futter gelangt dann in den Dünndarm, wo die Nährstoffe nicht mehr aufgeschlossen werden können und es zu einer Funktionsstörung kommen kann. Somit gehen viele Proteine und Nährstoffe aus dem Futter verloren und die Tiere werden unterversorgt.

Damit Tierhalter mit Caudophagie-Problemen auch selbst erkennen können, wo das Problem liegt, schneidet Herr Dr. Lappe für die Landwirte immer einen Film mit den betreffenden Stellen zusammen. So können die Tierhalter die Bilder selbst analysieren und verstehen besser, was im Stall verändert werden muss, damit die Tiere zufriedener sind. Zum Ende seines Vortrages betonte Herr Dr. Lappe noch einmal, dass die Caudophagie immer auf einen Mangel an Wohlbefinden hindeutet. Doch wo der Mangel liegt, muss von Stall zu Stall untersucht werden.

Alles in allem lässt sich feststellen, dass es bereits viel Bewegung im Bereich der Digitalisierung im Schweinebereich gibt. Jedoch sind die bisherigen Sensoren noch nicht ausgereift und es wird noch einige Jahre dauern, bis die Farmmanagementsysteme Einzug in die Schweineställe halten werden. Doch bereits jetzt kann man z.B. Schwanzbeißen entgegenwirken, indem man gezielte Videoanalysen von Problembuchten macht.

Autorin: Regine Revermann, Landwirtschaftskammer Niedersachsen