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Kuhgebundene Kälberaufzucht - Nicht so einfach, aber möglich!

Impulsbetrieb Tierwohl berichtet von seinen Erfahrungen mit der kuhgebundene Aufzucht

In der Milchviehhaltung ist die Trennung von Kuh und Kalb direkt nach der Geburt etabliert und wurde über viele Jahre hinweg als wichtig erachtet, um eine optimale Versorgung der Kälber zu gewährleisten und sie vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu schützen. In der Mutterkuhhaltung bleiben die Kälber stets bei den Müttern, wo die innige Verbundenheit zwischen den Tieren gut zu beobachten ist. Genau diese enge Bindung verursacht bei einer späteren Trennung Stress für Kuh und Kalb. Vor allem Kühe, die wenige Tage nach der Geburt von ihrem Nachwuchs getrennt werden, äußern ihren Unmut darüber meist lautstark. Durch das Rufen oder auch das aktive Suchen nach dem Kalb im Stall wird der Trennungsstress auch von außen wahrnehmbar. Die getrennt untergebrachten Kälber zeigen auch weniger Ruheverhalten und rufen vermehrt.

Bereits seit einigen Jahren versuchen unterschiedliche Betriebe eine „kuhgebundene Aufzucht“ zu etablieren. Die Kühe dürfen dabei in den ersten Lebenswochen direkten Kontakt zu ihren Kälbern haben und sie auch säugen – und das obwohl sie gemolken werden. Das dieses Unterfangen nicht so einfach ist, wie es zu sein scheint, wurde auch im einem Themen-Netzwerktreffen „kuhgebundene Aufzucht“ der Impulsbetriebe Rind deutlich.

Manfred Gabler vom Impulsbetrieb Biohof Gabler (www.biohof-gabler.de) berichtete den Teilnehmern von seinem Weg zur kuhgebundenen Aufzucht (mutter- und ammengebunden). Bereits in 2013 startete der Betrieb die ersten Versuche Kälber an der Mutter aufzuziehen. Nach einer umfassenden Planung, gemeinsam mit Expertinnen, wurde in 2018 ein neuer Kälberstall für die kuhgebundene Aufzucht, ein Begegnungsbereich im Laufhof und eine Gruppenabkalbebox in Betrieb genommen. Den Entwicklungsprozess hin zur kuhgebundenen Aufzucht mit Blick auf die Arbeitswirtschaft und Lebensqualität aller Beteiligten stellte der Betriebsleiter anhand vieler Bilder dar.

Unmittelbar nach der Geburt wird dafür gesorgt, dass die Kälber Biestmilch über einen Nuckel aufnehmen. „Das ist aus meiner Sicht für den Erfolg bei der Aufzucht entscheidend“ sagte Gabler und erläuterte gleich warum. „Ich stell damit die Biestmilchversorgung sicher und was noch wichtig ist: Die Kälber hatten dann schon einmal einen Nuckel im Maul, bevor sie an der Zitze getrunken haben. Dadurch wird später die Umstellung auf die Eimertränke wesentlich leichter“. Auf dem Biohof Gabler bleiben die Kälber die ersten drei Tage nach der Geburt gemeinsam mit der Mutter in der Abkalbebox. Danach verbringen die Kälber bis zum 7./10. Lebenstag täglich rund 12 Stunden gemeinsam mit der Mutter (vorwiegend Nachts) und können dann bei ihr saugen. Sie kommen zu Beginn der zweiten Lebenswoche in den Kälberstall und haben zwei Mal täglich vor dem Melken für rund eine halbe Stunde die Möglichkeit am Euter zu trinken und Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen. Das geschieht im Begegnungsbereich, der gleichzeitig als Laufhof fungiert. Dort wird v.a. bei neu in die Gruppe gebrachten Kuh-Kalb-Paaren bzw. der Umstellung auf eine Amme das Verhalten der Tiere sehr genau beobachtet. Die Arbeit verlagert sich also weg von der Arbeit für Arme und Beine hin zur Arbeit für die Augen. Der Betriebsleiter gab zu bedenken, dass alle mit den Kühen und Kälbern betrauten Personen auf dem Betrieb sich darauf einlassen müssen.

Mit vier bis fünf Wochen werden die männlichen Kälber verkauft. Davor kommen sie in die sogenannte „Trennungsbox“, die sich im Kuhstall in der Nähe des Melkstandes befindet. Wenige Tage vor dem Verkauf werden sie dort aufgestallt und haben noch Sicht- und Berührungskontakt zur Mutter. Es ist wichtig, dass sie sofort an den Eimer gewöhnt werden. Der Betriebsleiter machte in diesem Zusammenhang noch einmal sehr deutlich: „Entscheidend für das Gelingen und die rasche Umstellung auf den Nuckeleimer ist, dass die Kälber die Biestmilchgabe aus dem Eimer erhalten haben, denn daran scheinen sie sich zu erinnern und dann klappt das fast immer sofort.“

Die weibliche Nachzucht wird ab der achten Lebenswoche in einem abgetrennten Bereich mit Großraumiglu im Auslauf der Kühe untergebracht, wo sie von der eigenen Mutter bzw. einer Amme noch einmal täglich mit Milch versorgt werden. Die langsame Entwöhnung von der Milch und die Gewöhnung an reduzierten Kontakt mit der Mutter bzw. Amme senkt den Stresspegel deutlich. Deshalb setzt der Betrieb darauf, dass diese beiden Dinge zeitlich versetzt ablaufen. So bekommen die Kälber Saugentwöhnungsklappen, sogenannte „nose flaps“. Das sind Plastikplatten die mit Hilfe von zwei flexiblen Bügeln einfach und schmerzfrei in den Nasenlöchern Halt finden und verhindern, dass das Kalb am Euter saugen kann, weil die Klappe den Zugang zu den Zitzen verdeckt. Das erlaubt dem Kalb weiterhin direkten Körperkontakt zur Kuh zu haben, auch wenn es keine Milch mehr bekommt sondern nur mehr Wasser und Festfutter aufnehmen. Die weiblichen Kälber werden dann mit rund 13 Wochen in die Trennungsbox gebracht, so haben die Mütter bzw. Ammen noch die Möglichkeit Kontakt mit den Kälbern aufzunehmen, was meist nach einer Woche stark abflaut

Sein Fazit lautet, dass ein durchdachtes Stallkonzept den Arbeitsaufwand reduziert und sich die Art der Arbeit, weg von der körperlichen Belastung, hin zu mehr Tierbeobachtung entwickelt hat. Er stellt aber auch klar, dass ein gutes Trennungskonzept zum Ende der Tränkephase das A und O ist, damit alle Beteiligten zufrieden sind. Auf die Nachfragen ergänzte er, dass er zur Erhaltung der Eutergesundheit alle Kühe, auch diejenigen die Säugen, mindestens einmal täglich im Melkstand hat und Probleme damit sofort erkennt. Die gute Eutergesundheit mit einem durchschnittlichen Zellgehalt von ca. 70.000 – 80.000 somatischen Zellen im Herdenschnitt, gibt ihm Recht. Er gab auch zu bedenken, dass für jemanden der eher dazu neigt, Dinge schleifen zu lassen wenn es keine offensichtlichen Probleme gibt, solche etwas aufwendiger erscheinenden Routinen manchmal hilfreich sind, um nichts zu übersehen. Wer hingegen sehr konsequent täglich die Euter direkt nach dem Säugen kontrolliert, kann auf solche Routinen verzichten. Er machte deutlich, dass es hier betriebsspezifische Ansätze geben muss. Auf die Frage nach der  Kälbergesundheit,  machte der Betriebsleiter schnell klar, dass eine Behandlung von muttergebunden aufgezogenen Kälbern wesentlich anspruchsvoller ist, als bei Eimertränke. Seiner Erfahrung nach kann nur sehr genaue Beobachtung ein frühes Eingreifen, z.B. bei Durchfallgeschehen, ermöglichen. Er betonte aber auch, dass die Kälbergesundheit auf dem Betrieb sehr gut ist, wenn genug Abkalbeboxen zur Verfügung stehen und eine gute Hygiene in der Box herrscht. Wenn es Durchfallkälber gab, dann meist, wenn die Kälber zu früh, also vor dem 7. Lebenstag, in die Kälbergruppe gebracht wurden. „Es hat sich gezeigt, dass das System erst am Ende der schrittweisen Umsetzung aller Dinge richtig rund läuft.“ Damit unterstreicht Gabler, dass es auch für ihn ein Lernprozess war, sich in die kuhgebundene Aufzucht einzufinden. „Es existiert kein Standardsystem für die kuhgebundene Aufzucht, aber es gibt viele Ideen und Anleitungen, welche Dinge berücksichtigt werden sollten.“ gab er schließlich zu bedenken.

Autorin: Dr. Gudrun Plesch, FiBL Deutschland e.V.